Argentinien mal wieder am Abgrund
Die Wähler haben die Regierung von Präsident Alberto Fernández abgestraft. Das war zwar keine Überraschung, es ist aber das erste Mal seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie im Jahr 1983, dass die Peronisten die Mehrheit im Senat verlieren. Zudem ist Alberto Fernández erst der zweite Präsident, dessen Partei eine Parlamentswahl während ihrer Regierungszeit verliert. Vor allem die Vizepräsidentin und Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner klammert sich weiter an die Macht und Fernández ist nicht in der Lage, sich aus dieser Verstrickung zu lösen.
Bereits die Vorwahlen im September waren ein Vorbote der aktuellen Niederlage. Die Regierungspartei hatte nicht nur in der argentinischen Hauptstadt massiv Stimmen verloren, sondern - was noch wichtiger ist - auch in der Provinz Buenos Aires, einer historischen Bastion des Peronismus.
Maßnahmen ohne Wirkung
Der Popularitätsverlust von Präsident Fernández ist das Resultat der Unzufriedenheit der Menschen über die Folgen der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die weder von dieser noch der vorherigen Regierung überwunden werden konnte. Und so haben die Wähler einmal mehr die Notbremse gezogen. Weder die Erhöhung des Mindestlohns und der Sozialleistungen, noch die Steuerreformen sowie das Einfrieren der Lebensmittel- und Medikamentenpreise konnten einen Stimmungsumschwung bewirken.
Obwohl alle diese Schritte positiv aufgenommen worden waren, konnten sie die Mehrheit der Wähler doch nicht davon überzeugen, dass die Regierung ein Konzept für den Ausweg aus der Krise hat. Nicht einmal die bisher erfolgreichen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über die unter der liberalen Regierung Macri aufgenommenen Schulden haben für mehr Zuspruch an den Urnen gesorgt.
Seit mindestens einem halben Jahrhundert befindet sich Argentinien in einem Teufelskreis: Soziale Forderungen übersteigen regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes, was dazu führt, dass stets eher subventioniert als investiert wird. Hinzu kam im vergangenen Jahr die Corona-Pandemie mit einem langen Lockdown, die die ohnehin schon schwierige Lage noch verschlimmerte. Die heftige Rezession, eine Inflationsrate von über 50 Prozent, eine Armutsquote von 40 Prozent sowie die grassierende Kriminalität in den ärmsten Vierteln um Buenos Aires - das sind die Fakten, die am Wahltag den Ausschlag gaben.
Das politische Pendel schwingt wieder nach rechts
Ein weiterer Grund für die Wahlschlappe war die Führungsschwäche von Alberto Fernández gegenüber Cristina Fernández de Kirchner als Vizepräsidentin. Die Spannungen innerhalb des peronistischen Regierungsbündnisses wurden zuletzt immer deutlicher. Im September forderte die Vizepräsidentin eine Kabinettsumbildung, die der Präsident aber zunächst nicht vornehmen wollte, worauf sich Cristina Fernández de Kirchner publikumswirksam vom Präsidenten distanzierte.
Diese Parlamentswahlen waren ein Plebiszit über die fast zweijährige Regierungszeit der Peronisten und spiegeln die Angst der Argentinier vor einer zunehmend ungewissen Zukunft.
Die Krise in Argentinien erlaubt kein Zögern und Abwarten. Jetzt schwingt das Pendel wieder nach rechts. Selbst die rechtspopulistische Minderheit der Libertären, die mit harten, an Jair Bolsonaro oder Donald Trump erinnernden Reden vor allem junge Wähler für sich gewinnen konnten, schaffte es in den Kongress. Das ist besorgniserregend mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2023. Denn der Aufwind für die konservative Bewegung "Juntos por el Cambio" ist keine Garantie für eine Lösung der strukturellen Probleme Argentiniens. Dies hat sich bereits unter der Regierung Macri gezeigt, die schon nach nur einer Amtszeit die Macht wieder verlor und Argentinien nur in eine Inflations- und Schuldenkrise gestürzt hatte.
Ein umfassenderer Dialog mit der Opposition
Präsident Fernández scheint die Botschaft der Wähler verstanden zu haben und kündigte ein neues nachhaltiges Wirtschaftsprogramm sowie die Bereitschaft zum Dialog mit der Opposition an. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig: Wenn er einen Kollaps seiner Regierung noch vor dem Ende seiner Amtszeit vermeiden will, darf er seine Entscheidungen nicht mehr von der Zustimmung seiner Vizepräsidentin abhängig machen. Er muss ab sofort entschlossener auftreten.
Sollte Cristina Kirchner den Präsidenten dabei nicht unterstützen und sollte es Alberto Fernández aufgrund von regierungsinternen Zwängen nicht gelingen, einen tragfähigen Wirtschaftsplan aufstellen, dann rückt das Land noch näher an den Abgrund. Ein schwacher Präsident wird nicht in der Lage sein, die Herausforderungen der beiden kommenden Jahre Jahre zu meistern.