Rassismus - nein danke! Gleichberechtigung - ja bitte! Keine religiöse oder sexuelle Diskriminierung - na klar! Auch die bekannteste und populärste deutsche Linken-Politikerin, Sahra Wagenknecht, engagiert sich selbstverständlich für diese Ziele. Trotzdem kritisiert die ehemalige Fraktionsvorsitzende im Bundestag ihre Partei, weil die solche gesellschaftspolitisch hochrelevanten Themen ihres Erachtens für wichtiger hält als die wirklichen Sorgen vieler Menschen: Lohndumping, Wohnungsnot, Migration.
Abgesehen davon, ob Wagenknechts in Buchform gegossene Abrechnung mit ihrer politischen Heimat und anderen sich mehr oder weniger links gebenden Parteien richtig ist - es ist ihre Meinung. Und die wird von vielen inner- und außerhalb der Linken geteilt. Ihr Buch "Die Selbstgerechten" steht ganz oben auf der Bestsellerliste. Darin beschreibt und begründet sie ihre Vorwürfe.
Ungute Erinnerungen an die DDR-Staatspartei SED
Das jedoch missfällt manchen Genossinnen und Genossen in ihrem Landesverband Nordrhein-Westfalen (NRW) so sehr, dass sie Sahra Wagenknecht aus der Partei ausschließen wollen. Der Antrag erinnert gerade bei der Linken, hervorgegangen aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der DDR, doch allzu sehr an längst vergangene Zeiten: als kritische Geister ganz schnell als Abweichler kaltgestellt und hinausgeworfen wurden.
Zum Glück stellen sich die Parteivorsitzenden und die Fraktionsspitze im Bundestag demonstrativ hinter ihr Zugpferd im Bundestagswahlkampf, bei dem die 51-Jährige in NRW auf Platz 1 kandidiert. Aber das Bild von einer wieder mal mit sich selbst beschäftigten Linken wird schwer zu korrigieren sein. Kein Wunder, dass sie im Deutschlandtrend mit sieben Prozent auf der Stelle tritt. Wenn die Streitkultur zuweilen auf so niedrigem Niveau gepflegt wird, muss sich die Partei eher sorgen, noch tiefer in den Keller zu rutschen.
Die Grünen wollen ihren Querkopf schon lange loswerden
Fans dieser Spielart von Cancel Culture sollten sich lieber selbstkritisch fragen, wer der Partei mehr schadet: eine zwar gerne provozierende und mitunter egoistische Sahra Wagenknecht? Oder jemand, der seinen verständlichen Ärger über eine messerscharf analysierende Intellektuelle ungezügelt ausleben will - und einen Parteiausschluss beantragt? Ganz zu schweigen davon, dass dieses Verfahren erfolglos sein dürfte. Denn die Hürden für einen Ausschluss sind aus guten Gründen sehr hoch: Der Partei muss ein konkreter, nachweisbarer Schaden entstanden sein. Welcher sollte das in der Causa Wagenknecht sein?
Die gleiche Frage stellt sich bei einem Grünen-Politiker, der seit Jahren für Unruhe in den eigenen Reihen sorgt: Boris Palmer, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen in Baden-Württemberg. Jenem Bundesland, in dem der erste und einzige grüne Ministerpräsident regiert. Palmer soll sich angeblich rassistisch über einen ehemaligen deutschen Fußball-Nationalspieler geäußert haben. Der 48-Jährige selbst spricht von Ironie. Sein Landesverband will ihn trotzdem loswerden - auch weil er schon mehrmals mit umstrittenen Äußerungen auffiel.
Die AfD hat bei Andreas Kalbitz alles richtig gemacht
Ob Sahra Wagenknecht oder Boris Palmer - beide stehen für einen rhetorischen Politikstil, der auch in früheren Zeiten Kontroversen auslöste. Aber als nicht jedes Mal gleich gerufen wurde: Schmeißt sie/ihn raus! Ja, die neue Sensibilität, wenn es um Sprache geht, ist gut. Aber bitte nicht vorschnell und vermeintlich politisch korrekt Leute, die man mal durchaus anerkennend Querköpfe nannte, mit der Höchststrafe bedrohen: Parteiausschluss.
Diese schärfste Sanktion sollte nur dann angewendet werden, wenn der Fall eindeutig ist. Wie beim nunmehr ehemaligen Sozialdemokraten Thilo Sarrazin, der die SPD immer wieder mit Büchern wie "Deutschland schafft sich ab" über angeblich weniger intelligente Menschen aus anderen Kulturkreisen quälte. Sogar die Alternative für Deutschland (AfD), die in ihren Reihen etliche fragwürdige Figuren duldet, hat bei diesem heiklen Thema in einem Fall ausnahmsweise korrekt gehandelt: als sie den Rechtsextremisten Andreas Kalbitz vor die Tür setzte.