1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Menschenrechtler besorgt um Assange

Seda Serdar jdw
19. Dezember 2019

Nach jahrelanger Isolation zeige der Wikileaks-Gründer Julian Assange deutliche Zeichen psychischer Folter, sagt der UN-Berichterstatter Nils Melzer. Im Februar soll über seine Auslieferung in die USA entschieden werden.

https://p.dw.com/p/3V6ai
Großbritannien Protest gegen Verhaftung von Assange
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Dunham

Das Einzige, das Julian Assange zu Protokoll gab, war seine Identität. Bei der Anhörung an diesem Donnerstag vor dem Magistratsgericht Westminster war der 48-Jährige lediglich per Videokonferenz zugeschaltet und erfuhr, wann das Auslieferungsgesuch der USA gegen ihn verhandelt werden soll. Derzeit ist Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert. Im Mai wurde er zu einer 50-wöchigen Haftstrafe verurteilt, weil er gegen Kautionsauflagen verstoßen habe, als er im Juni 2012 in die ecuadorianische Botschaft flüchtete, um seiner Auslieferung an Schweden zu entgehen.

Die schwedische Justiz ermittelte damals wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung gegen Assange und ließ per europäischem Haftbefehl nach ihm fahnden. Bis April 2019 gewährte Ecuador ihm politisches Asyl in der Londoner Botschaft, bis der neue Präsident Ecuadors, Lenín Moreno, das Asyl aufhob und Assange in der Botschaft von der britischen Polizei verhaften ließ.

Angeklagt in den USA

Doch mehr als die Anklage in Schweden hatte Assange nach eigenen Aussagen schon immer seine Auslieferung an die USA befürchtet. Während die Ermittlungen in Schweden mittlerweile eingestellt wurden, fordert die US-Justiz umso drängender seine Auslieferung. Darüber soll nun am 24. Februar entschieden werden.

In den USA ist der Wikileaks-Gründer in zahlreichen Punkten angeklagt. Unter anderem wirft ihm die US-Justiz Verschwörung und Spionage in Verbindung mit der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen vor. Sollte der Australier in allen Punkten schuldig gesprochen werden, droht ihm eine Verurteilung zu 175 Jahren Gefängnishaft. 

WikiLeaks  Julian Assange London Gerichtssaal
Die Skizze von einer Anhörung im Oktober, zu der Assange persönlich erschienen warBild: Reuters/J. Quenzler

Auf der Internet-Plattform Wikileaks hatte Assange in den Jahren 2010 und 2011 Hunderttausende Geheimdienstakten veröffentlicht, die unter anderem der Whistleblower Bradley (heute Chelsea) Manning gestohlen hatte. In den meisten der publizierten Dokumente ging es um die Kriege im Irak und in Afghanistan und die Rolle der US-Streikräfte dort.

Foltervorwürfe gegen britische Behörden

Ob Assange tatsächlich in die USA ausgeliefert wird, ist keineswegs gewiss. Kürzlich haben aber noch andere Sorgen um den vielleicht prominentesten Häftling des Vereinigten Königreichs Schlagzeilen gemacht: Assange zeige "alle Symptome, die typisch sind für eine Person, die psychischer Folter ausgesetzt ist", konstatierte Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter. Grund sei die jahrelange Isolation - erst im Botschaftsasyl und nun in Haft. Der 47-Jährige leide "unter extremen Angstzuständen und Stresszuständen, in denen Personen nicht mehr schlafen oder sich entspannen können". Die psychische Folter sei über Monate hinweg durch den internationalen Druck verübt worden, sagte Melzer. Melzer gilt als ausgesprochener Unterstützer Assanges, doch damit ist er nicht allein.

Als Reaktion auf Melzers Bericht schrieben im November 60 Ärzte einen offenen Brief an die britische Regierung, in dem sie auf Assanges gesundheitlichen Verfall hinwiesen und warnten, dass er ohne Behandlung in Haft sterben könne.

Bisher könne er nicht feststellen, dass sich an Assanges Haftbedingungen etwas geändert hätte, sagte Melzer der DW. Allerdings habe der offene Brief der Ärzte die Öffentlichkeit für die Dringlichkeit sensibilisiert. "Und so hoffe ich, dass das einen Einfluss darauf hat, wie wir damit umgehen."

UN-Berichterstatter: Unangemessene Haftbedingungen

Ende November hatte der Schweizer Melzer in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag darauf hingewiesen, dass Assange seine Strafe mittlerweile verbüßt habe und nur noch in Präventivhaft sei, damit er sich dem Auslieferungsverfahren nicht entziehe. "Für die Erreichung dieses Zwecks braucht es aber ganz offensichtlich kein Hochsicherheitsgefängnis, und schon gar keine Isolation." Hausarrest oder ein ähnlich offener Vollzug mit Kontakt zu Familie, Anwälten und auch der Presse würden nach Ansicht des UN-Diplomaten dafür vollkommen genügen.

Bisher habe Melzer auf sein Schreiben an die britische Regierung nur eine ausweichende Antwort erhalten, sagte der Jurist dem Radiosender Bayern 2 am Donnerstagmorgen: "Wenn ich einen offiziellen Brief schreibe und ein Staat antwortet so abschlägig, dann ist das meistens ein Anzeichen dafür, dass er sich bewusst ist, dass er sich hier nicht korrekt verhält."

Zivilgesellschaft appelliert an Bundesregierung

Erst in dieser Woche hat die Akademie der Künste (ADK) in Berlin, eine der ältesten Kultureinrichtungen Europas, in einer Pressemitteilung einen "humanen und rechtsstaatlichen Umgang mit Julian Assange" gefordert. Vize-Präsidentin Kathrin Röggla, sagte der DW, dass sich die ADK damit dem Aufruf der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) anschließe, Assange als politischen Flüchtling anzuerkennen. Das Engagement zivilgesellschaftlicher Institutionen könne Druck erzeugen, sagte Röggla: "Und natürlich erwarten alle, dass auch unsere Bundesregierung sich da stärker einbringt in außenpolitischen Fragen."

Julian Assange Wikileaks-Gründer
Fast fünf Jahre lang hat Julian Assange die ecuadorianische Botschaft in London nicht verlassenBild: Getty Images/J.Taylor

In einem Interview mit dem "Kölner Stadtanzeiger" rief Assanges Vater, John Shipton, die Bundesregierung dazu auf, seinen Sohn stärker zu unterstützen.

Die deutsche Regierung ist dem Fall Assange von Anfang an mit Zurückhaltung begegnet. Kurz nach Assanges Verhaftung stellte ein Kanzleramtssprecher klar, dass dies Sache der britischen Justiz sei.

Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), moniert die passive Haltung der Bundesregierung: "Ich weiß nicht, ob es hinter den Kulissen tatsächlich Vorstöße der deutschen Regierung gibt. Man hat aber manchmal den Eindruck, dass man sagt: 'Was interessiert uns das?'", sagte Überall der DW. " Wir wollen nicht der Weltpolizist sein. Gleichwohl sehe ich die moralische Verpflichtung, in solchen Fällen auch deutlich die Stimme zu erheben."

Auch die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen, hält es für notwendig, Assanges Haftbedingungen zu überprüfen. Auf Anfrage der DW teilte sie mit: "Menschenrechte gelten auch für Häftlinge. Sollte eine menschliche Unterbringung nicht garantiert sein, muss man das hinterfragen."

Held oder Verräter ? 

Nicht alle sehen wie die USA in Wikileaks eine "feindliche Spionageagentur" und in Assange einen Verräter. Im Gegenteil: Manche Stimmen äußern Besorgnis, dass man an Julian Assange ein Exempel statuieren will, um Presse- und Redefreiheit zu unterminieren. Natürlich seien Verrat und Verleumdungen nicht tolerierbar, sagt die Bundestagsgeordnete Gyde. Gleichzeitig sorge sie sich um den Schutz von Whistleblowern.

Der Schweizer Diplomat Melzer sieht das ähnlich: "Ich glaube, dies ist ein kritischer Zeitpunkt, an dem die Menschen sich klarmachen müssen, dass es hier nicht um irgendeine Person geht, die man mag oder nicht. Es geht um ihre eigenen Rechte, und um die Integrität der Demokratien und der rechtstaatlichen Systeme, in denen sie leben."