Reform gefordert
13. Oktober 2010Ein betrunkener Major der Miliz erschießt mehrere Menschen im Supermarkt, eine Straßenpatrouille errichtet eine Sperre für ein Fluchtauto aus zivilen Fahrzeugen samt Insassen, Willkür gegen Bürger - die Liste mit Schlagzeilen über Fehlverhalten russischer Milizionäre ist lang.
Dass die Lage ernst ist, gibt auch der russische Präsident Dmitrij Medwedew zu. Im Jahre 2009 kündigte er deswegen Reformen im Innenministerium an: Um Korruption zu bekämpfen sollen beispielsweise die Ordnungshüter in Zukunft ihre Einkünfte sowie die der Ehepartner offenlegen. Außerdem sollten Beamte Festgenommene über ihre Rechte aufklären sowie Schläge auf Hals, Kopf, Schlüsselbein und Geschlechtsteile unterlassen. Um das schlechte Image loszuwerden, könnte die "Miliz" in "Polizei" umbenannt werden, so die Reformpläne.
Bislang nur Diskussionen
Umgesetzt sei davon aber nichts, kritisiert Valentin Gefter, Direktor des Moskauer Instituts für Menschenrechte. Bislang sei nur diskutiert worden. Beispielsweise habe das Innenministerium auf seiner Internetseite ein Diskussionsforum zur Reform der eigenen Behörde eingerichtet, wo Bürger Vorschläge hinterlassen konnten. Über die Ergebnisse wurde die Öffentlichkeit aber bislang nicht informiert.
Gefter ist auch Mitglied des "Rats zur Förderung zivilgesellschaftlicher Institute und der Menschenrechte", der den Präsidenten persönlich berät. Mangelnde Kommunikation sei nur ein Teil des Übels, sagt der Experte. Ein größeres Problem sei, dass ein Sonderausschuss im Innenministerium, der sich mit den Reformen befassen sollte, nicht mehr als eine "Idee" geblieben sei. Die Gründe sind ganz banal: "Für die Reform gibt es einfach kein Geld", beklagt Gefter.
Rats-Mitglieder unterbreiten Vorschläge
Die Mitglieder des Menschenrechtsrates haben Medwedew mittlerweile eine Liste mit Vorschlägen vorgelegt, die in ein künftiges Gesetz einfließen sollten. Die Polizei müsse beispielsweise gegenüber den Organen der lokalen Selbstverwaltung rechenschaftspflichtig werden. Zudem sollte die Arbeit der Polizei nicht nach Quantität, sondern nach Qualität bemessen werden. Auch die russischen Ordnungshüter selbst müssten besser kontrolliert werden. "Ein neues vom Innenministerium unabhängiges System der gesellschaftliche Kontrolle muss das jetzige ersetzen", so Gefter.
Dem Leiter der russischen NGO "Gesellschaftsvertrag", Aleksandr Ausan, zufolge sollte die Reform des Innenministeriums aber nicht vom politischen Tagesgeschäft abhängig gemacht werden: "Diese Reform muss jetzt durchgeführt werden, unabhängig davon, wer gerade regiert oder wer die kommenden Wahlen gewinnt."
Neuer Menschenrechtsbeauftrager
Medwedew hatte Anfang 2009 den "Rat zur Förderung zivilgesellschaftlicher Institute und der Menschenrechte" neu besetzt. Die Vorsitzende des Rates, die bekannte russische Menschenrechtlerin Ella Pamfilowa, legte aus Protest gegen die Ausweitung der Vollmachten für Russlands Geheimdienst FSB Ende Juli 2010 ihr Amt nieder. Ihr Rücktritt galt als herber Schlag für die von Medwedew immer wieder versprochene Stärkung der Menschenrechte.
Zu Pamfilowas Nachfolger wurde am Dienstag (12.10.2010) der Vorsitzende des russischen Journalistenverbandes, Michail Fedotow, ernannt. Er bezeichnete die "Entstalinisierung" in den Köpfen der russischen Gesellschaft sowie die von Medwedew initiierte Polizei- und Justizreform als wichtigste Aufgaben des Beratungsgremiums des Präsidenten zur Entwicklung der Zivilgesellschaft.
Autoren: Jegor Winogradow, Artjom Maksimenko (dpa, ap)
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Nicole Scherschun