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Ministerbesuch im "sicheren Herkunftsstaat"

Sarah Mersch, Tunis28. Februar 2016

Gleich zwei deutsche Minister machen auf ihrer Maghreb-Tour in diesen Tagen in Tunesien Station - nach Ansicht der Bundesregierung ein sicheres Herkunftsland. Doch Homosexuelle leben dort gefährlich.

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Sidi Bouzid in Tunesien (Archivfoto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Dridi)

Es habe sich seit dem Sturz der Diktatur schon einiges verbessert in Tunesien, meint Abdessatar Ben Moussa, Präsident der tunesischen Menschenrechtsliga, im Vorfeld der Besuche von Gerd Müller, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, und Innenminister Thomas de Maizière. Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und das Recht, Nichtregierungsorganisationen und Parteien gründen zu können, sind für den Juristen, dessen Organisation vor kurzem für ihre politischen Vermittlungsbemühungen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, wichtige Schritte in die richtige Richtung.

"Wir hoffen aber auf mehr. Nach wie vor wird gefoltert, zwar nicht mehr systematisch, aber das Problem existiert weiter, und die Haftbedingungen in den Gefängnissen sind erbärmlich", erklärt Ben Moussa. Die Zellen sind oft doppelt und dreifach belegt und die hygienischen Bedingungen mangelhaft, kritisieren Menschenrechtsorganisationen. Ein Hoffnungsschimmer ist ein neues Gesetz, dass das tunesische Parlament vor kurzem verabschiedet hat. Jetzt hat jeder Festgenommene bereits in Polizeigewahrsam Anrecht auf einen Anwalt. "Das ist eine der fundamentalen Garantien gegen Misshandlungen und Folter", freut sich Emna Guellali, Leiterin der Büros der Organisation Human Rights Watch in Tunis. So könne verhindert werden, dass es bereits auf der Wache zu Übergriffen gegen Verdächtige komme oder dass sie unter Druck falsche Geständnisse unterschreiben.

Abdessatar Ben Moussa (Foto: DW/Sarah Mersch)
Abdessatar Ben MoussaBild: Sarah Mersch

Kritikpunkte: Folter und Umgang mit Homosexuellen

Neben schlechten Haftbedingungen und Folter ist es vor allem der Umgang mit Homosexuellen, der von tunesischen und internationalen Organisationen als bedenklich eingestuft wird. Homosexualität ist nicht nur in weiten Teilen der Gesellschaft ein Tabu, sie wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Für Aufsehen sorgte in jüngster Zeit der Fall von sechs jungen Männern, die in einem Studentenheim der zentraltunesischen Stadt Kairouan festgenommen und im Dezember zu drei Jahren Haft verurteilt und fünf Jahre aus der Stadt verbannt wurden. Die Anklage stützte sich auf Rektaluntersuchungen der Verdächtigen, mit denen ihnen regelmäßiger Analverkehr nachgewiesen werden sollte. Ihre Anwältin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Nach sechs Wochen Haft wurden sie gegen Kaution freigelassen, bis das Urteil im Berufungsverfahren fällt. "Die Situation im Gefängnis, mit 190 Leuten in einer Zelle, die kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Als wir reinkamen wussten die anderen schon, warum wir dort sind. Wir wollten so tun, als seien wir wegen Haschischkonsums verurteilt, aber sie haben nur auf uns gewartet", berichtet einer der Angeklagten, der anonym bleiben möchte. Regelmäßig seien die jungen Männer von Mitgefangenen und Wärtern belästigt worden. "Anderthalb Monate lang haben sie uns jeden Tag geschlagen. Sie haben uns mit Stöcken auf die Füße geschlagen oder mit den Fäusten gegen die Köpfe, und sie haben uns mit Füßen getreten. So Leute wie wir hätten kein Recht zu leben."

Bundesminister Gerd Müller (l.) und Thomas de Maizière (Foto: AP)
Beide auf Maghreb-Reise: Bundesminister Gerd Müller (l., CSU) und Thomas de Maizière (CDU)Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Widerspruch zur Verfassung

Seit dem politischen Umbruch 2011 mobilisiert sich die Zivilgesellschaft zwar zunehmend für die Rechte von Homosexuellen, gleichzeitig verschärfen sich aber auch die Reaktionen, erklärt Emna Guellali, die die Regierung dazu auffordert, den entsprechenden Artikel im Strafgesetzbuch ersatzlos zu streichen. "Er steht im Widerspruch zur tunesischen Verfassung und zu allen internationalen Menschenrechtsstandards."

Im Fall der sechs Jugendlichen wird am 3. März das Urteil erwartet. Egal wie es ausfällt, für den jungen Angeklagten hat es sein Leben zerstört, sagt er. "Meine Zukunft ist vorbei, alles ist düster. Noch ein Jahr Uni und ich hätte unterrichten können." Doch dort wird er bedroht, so dass er sein Studium nicht fortsetzen könne. Auch von seiner Familie werde er zurückgewiesen. Daher sehe er in Tunesien keine Chance mehr. Am liebsten würde er vor der Diskriminierung nach Europa flüchten.