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Ein Stadtteil unter Generalverdacht

Teri Schultz, Molenbeek / cr17. November 2015

Ein Parkticket, das von den Pariser Attentätern genutzt wurde, führte die Ermittler nach Molenbeek. Überrascht ist darüber in dem Brüsseler Vorort kaum jemand, berichtet Teri Schultz aus Molenbeek.

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Marktplatz im Brüsseler Stadtteil Molenbeek nach Terroranschlägen in Paris (Foto: DW/T. Schultz)
Bild: DW/T. Schultz

Ein Spaziergang durch Molenbeek: Hinter einer der Fassaden in dem Brüsseler Stadtteil plante Mehdi Nemmouche seinen Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel. Nur einen Steinwurf entfernt lebt die Schwester des Mannes, der im August ein Attentat auf einen Thalys-Schnellzug verüben wollte. Auch die Schule von Abdelhamid Abaaoud, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge von Paris mit mindestens 132 Toten, liegt hier. Genauso wie die Kneipe, die Medienberichten zufolge Brahim Abdeslam betrieb, einer der Selbstmordattentäter von Paris. Nicht weit davon entfernt, an der Rue Dalenoy Nummer 47, liegt das Haus, das die Polizei am Montag auf der Suche nach Brahims Bruder Salah stürmte. Der 26-Jährige ist weiter auf der Flucht.

Es wird vermutet, dass Abaaoud der Verbindungsmann zwischen der Führung der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) und deren Anhängern in Europa ist. Abaaouds Aufenthaltsort ist unbekannt. Es wird jedoch angenommen, dass er aus Belgien floh, nachdem die Polizei einen Anschlag in der Stadt Verviers im Januar verhindert hatte. Damals wurden zwei mutmaßliche Islamisten von den Sicherheitskräften erschossen.

Fahndungsfoto Abdeslam Salah (Foto: dpa)
Die Polizei fahndet weiterhin nach Salah AbdeslamBild: picture-alliance/dpa/French Ministry Of The Interior

Fünf der sieben Personen, die am Wochenende bei Razzien in Brüssel festgenommen worden waren, sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß, darunter auch Mohamed Abdeslam, auch er ein Bruder eines Attentäters. Er konnte glaubhaft machen, dass er nichts mit den Anschlägen zu tun habe. Seine Eltern seien "schockiert" über die Ereignisse.

Gewaltiges Problem

Der belgische Premierminister Charles Michel bezeichnet Molenbeek als "gewaltiges Problem". Der ehemalige Bürgermeister des Viertels, Philippe Moureaux, streitet in den Medien mit der derzeitigen Amtsträgerin Françoise Schepmans darüber, wer schuld daran ist, dass Molenbeek Rekrutierungsort und Versteck von Islamisten ist. Und der belgische Innenminister Jan Jambon kündigt an, dass er persönlich dafür sorgen werde, dass in Molenbeek "sauber gemacht" wird, ohne zu sagen, wie genau er das anstellen will.

Es werde nach einem Schuldigen gesucht und es gebe viele, die Schuld an der Situation hätten, sagt Johan Leman, ehemaliger Direktor am Zentrum für Chancengleichheit und den Kampf gegen Rassismus in Brüssel. Leman arbeitete von 1981 bis 1989 in einem Integrationszentrum in Molenbeek. Er warnte die Behörden schon vor Jahrzehnten vor der Vernachlässigung des Viertels.

Auf dem Sonntagsmarkt in Molenbeek, nur Stunden nach den ersten Razzien in dem Stadtteil, scheinen die Bewohner verstört angesichts der zahlreichen Kamerateams. Die Menschen hier kommunizieren sowohl auf Arabisch als auch auf Französisch. Die meisten Frauen tragen einen Niqab.

Sie wirken beinahe dankbar, dass das Glockengeläut der nahegelegenen Kirche die Medienvertreter kurz davon abhält, Interviews zu führen. Die Kirche in dem mehrheitlich von Muslimen bewohnten Viertel erinnert hörbar an das Gemisch der Kulturen hier in Molenbeek.

Polizisten bei einer Razzia (Foto: Reuters)
Nach der Anschlagsserie von Paris durchsuchte die Polizei in Molenbeek mehrere WohnungenBild: Reuters/Y. Herman

Negatives Bild

Niemand, der sich zu einem Interview bereit erklärt, will seinen Nachnamen nennen. Der Marktverkäufer Ali beklagt, dass all die negative Aufmerksamkeit schlecht sei für das Image von Molenbeek und für den Ruf der Muslime. Zwar hätten sich viele Jugendliche in Molenbeek radikalisiert, gibt er zu. Jedoch seien die meisten Bewohner des Stadtteils normale Leute: Sie stünden auf, gingen zur Arbeit - wobei hier die Arbeitslosigkeit höher ist, als im belgischen Durchschnitt - und liebten ihre Kinder. Jetzt werde allen das Label "Terrorist" aufgeklebt. Das sei unfair.

Einen Block weiter läuft Natalia in die Kirche. Auf die Frage, wie sie sich angesichts der Razzien fühle, sagt sie, sie wolle nicht darüber reden. "Es gab keine bei mir", sagt sie kurz. Ihr französisches "chez moi" lässt offen, ob sie ihr Haus oder ihre nährere Umgebung meint. Sie schließt die schwere Kirchentür hinter sich, um deutlich zu machen, dass sei keine weiteren Antworten geben will.

Ramadan betreibt einen Laden für Haushaltswaren. Er versucht, locker mit der Situation umzugehen. Zur sozialen Situation in Molenbeek will er nichts sagen. Er ist einer der "normalen" Menschen, von denen Ali sprach. "Ich gehe einfach jeden Tag zur Arbeit und abends wieder nach Hause", sagt er leise auf Französisch. "Ich verfolge die Politik nicht." Auf die Frage, was er von Innenminster Jambons Aussage hält, in Molenbeek "sauber zu machen" hellt sich seine Mine auf. "Er kann alles, was er dafür braucht, direkt hier kaufen", lacht er und zeigt auf seine Haushaltswaren: "Voila!"