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Mord an Hrant Dink: War Ankara beteiligt?

5. März 2021

2007 wurde der bekannte türkisch-armenische Journalist in Istanbul auf offener Straße erschossen. Nun wird im Mordprozess das Urteil erwartet. Über die Hintermänner des Anschlags bleibt jedoch vieles weiter im Dunkeln.

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Türkisch-armenische Journalist Hrant Dink
Türkisch-armenische Journalist Hrant Dink Bild: AP

Es war der 19. Januar 2007, als der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink vor dem Verlagsgebäude seiner eigenen Zeitung Agos in Istanbul auf offener Straße erschossen wurde. Der Tod Dinks schockierte die türkische und internationale Öffentlichkeit. Und bis heute gibt es zahlreiche Ungereimtheiten. "Gibt es in der Türkei einen Staat im Staat, der sich der gesetzlichen Kontrolle entzieht?", ist eine der häufigsten Fragen, die der Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten aufwirft.

Hrant Dink stand wegen seiner kritischen Reden und Zeitungsartikel seit jeher im Visier nationalistischer Kräfte, aber auch der türkischen Justiz.  Im Jahr 2002 nahm er als Redner an einem Symposium mit dem Titel "Ich bin kein Türke – ich bin Armenier und Türke" teil. Anschließend wurde er wegen "Verunglimpfung des Türkentums" angeklagt.

Rakel Dink, die Frau der ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink
Rakel Dink, die Frau des ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant DinkBild: Reuters/O. Orsal

Zwei Jahre später erregte ein von ihm verfasster Artikel in der Tageszeitung Hürriyet die Gemüter nationalistischer Kreise. Darin behauptete er, die Adoptivtochter des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk, Sabiha Gökce, sei ein armenisches Waisenkind gewesen. Gökce ist ehemalige Leiterin der Kampfpilotenausbildung der türkischen Luftwaffe. Sie gilt als nationale Ikone und als unantastbar. Viele Nationalisten, besonders aus dem Umfeld der türkischen Armee, sahen durch den Artikel das Erbe Atatürks verunglimpft.

"Ich stehe am Rande einer Klippe"

In der Folge versammelten sich wiederholt Ultranationalisten vor dem Verlagsgebäude der Agos-Zeitung in Istanbul und skandierten wüste Beschimpfungen. Als Reaktion darauf veröffentlichte Dink in seiner eigenen Zeitung einen Artikel mit dem Titel: "Warum ich ins Visier genommen wurde". Er berichtete von regelmäßigen Anfeindungen und Drohungen. "Ich war in meinem Leben immer mit Gefahren konfrontiert, jetzt stehe ich erneut am Rande einer Klippe", schrieb er. Eine Woche später wurde er ermordet. Empörung schwappte durch weite Teile der türkischen Öffentlichkeit. Der Slogan "Wir alle sind Hrant, wir sind alle Armenier" verbreitete sich rasch auf den Straßen des Landes.  

Ein Mörder, zwei Anstifter

Drei Täter wurden festgenommen: Ogün Samast, der die Tatwaffe geführt haben soll, sowie zwei weitere Nationalisten, die ihn zum Mord angestiftet haben sollen. Die Ermittlungen haben zudem ergeben, dass einige Beamte des türkischen Staatsapparates zwar im Vorfeld von möglichen Mordplänen gewusst haben sollen.

Die Familienangehörigen Dinks fordern bis heute vehement, dass auch diese Staatsbeamten strafrechtlich verfolgt werden. "Trotz der Bedrohungslage gegenüber Hrant Dink und den konkreten Hinweisen, dass Dink ermordet werden könnte, wurden von den Staatsbeamten keinerlei Schutzmaßnahmen ergriffen", sagt der Anwalt der Familie Dink, Hakan Bakircioglu. "Die Gruppe, die den Mord durchführte, wurde nicht daran gehindert. Doch laut der ursprünglichen Anklageschrift waren angeblich keine Staatsbeamten an dem Mord beteiligt".  

Schweigemarsch Gedenken für Hrant Dink, 2012
Schweigemarsch im Gedenken an Hrant Dink in Istanbul 2012Bild: REUTERS

Welche Rolle spielte der türkische Staat?

Die erste Anhörung des Mordprozesses fand am 2. Juli 2007 an einem Istanbuler Strafgericht statt. Der damals erst 16-jährige Mörder Ogün Samast wurde zu 22 Jahren und 10 Monaten Gefängnis verurteilt. Einer der Anstifter bekam eine lebenslange Haftsrafe, der andere jedoch wurde zwar wegen "Beihilfe zum Mord" und "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation" angeklagt, in letzter Instanz jedoch wieder freigesprochen. Der Oberste Gerichtshof der Türkei hob die ursprüngliche Verurteilung wieder auf, weil der Mord "nicht von einer Organisation durchgeführt" worden sei.   

Im Jahr 2016 kam der Mordprozess noch einmal ins Rollen: Nun wurde auch gegen Staatsbedienstete ermittelt: 77 Beamte der Polizei sowie der paramilitärischen Gendarmerie aus Istanbul und der Schwarzmeerprovinz Trabzon wurden vor einem Strafgericht in Istanbul angeklagt, weil sie an der Planung und Organisation des Mordes beteiligt gewesen sein sollen.

Türkei Yetvart Danzikyan
Der heutige Agos-Chefredakteur Yetvart DanzikyanBild: privat

An diesem Freitag endet der Prozess über die angeklagten Beamten - doch die Familie des Ermordeten rechnet nicht mit einem gerechten Urteil. Die Untersuchung weise gravierende Mängel auf, kritisiert Hakan Bakircioglu. So seien Verdächtige, gegen die schwerwiegende Vorwürfe erhoben wurden, bei Gerichtsanhörungen nur halbherzig befragt worden. "Gegen das Istanbuler Gouverneursamt und Beamte des türkischen Nachrichtendienstes MIT wurde überhaupt nicht ermittelt", so der Anwalt, obwohl diese auch in den Mord an Dink verwickelt gewesen seien.

Auch nach dem Tod Hrant Dinks lebt sein Erbe in der von ihm gegründeten Zeitung Agos weiter. "Hrant gibt uns auch nach seinem Tod Kraft", sagt der heutige Agos-Chefredakteur Yetvart Danzikyan. "Insbesondere den Armeniern in der Türkei, die immer mehr die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit verlieren".

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut.