Russland Deutschland Agenten
15. Januar 2013Dieser Fall liest sich wie ein klassischer Agententhriller. Es gibt tote Briefkästen, Agentenfunk und versteckte Botschaften im Internet. Ein Ehepaar soll über 20 Jahre lang zunächst für den sowjetischen und später für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR Spionage betrieben haben. Ab diesem Dienstag (15.01.2013) stehen Andreas Anschlag (54) und seine Frau Heidrun (48) in Stuttgart vor dem Oberlandesgericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen "geheimdienstliche Agententätigkeit" und "mittelbare Falschbeurkundung" vor.
Ob die Beschuldigten wirklich so heißen, darf bezweifelt werden. Ihr Strafverteidiger Horst-Dieter Pötschke bestreitet jedenfalls im Gespräch mit der DW nicht, dass "Anschlag" nicht der wahre Name des mutmaßlichen Agentenpaares ist. Zu den Tatvorwürfen äußert er sich nur indirekt. Doch die mögliche Strafe von bis zu zehn Jahren Haft sei übertrieben hoch, sagt der Münchner Rechtsanwalt.
Pötschke kennt sich aus mit solchen Fällen. In den 1970er und 1980er Jahren vertrat er aufgeflogene Agenten des sowjetischen KGB oder der ostdeutschen Stasi. Einer seiner berühmtesten Mandanten war Günter Guillaume, Referent des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und DDR-Spion. Nach Guillaumes Enttarnung 1974 trat Brandt zurück.
Unauffälliges Bürgerleben
Die Geschichte des mutmaßlichen Agentenpaares begann in der Zeit, als die Sowjetunion noch existierte und der Kalte Krieg Realität war. Laut Anklage reisten der Mann 1988 und die Frau 1990 mit gefälschten österreichischen Pässen in die Bundesrepublik ein. Beide sollen in Südamerika geboren worden sein. Sie lebten zunächst in Aachen, wo der Mann Maschinenbau studierte.
Nach der Geburt einer Tochter war die Tarnung offenbar perfekt. Das Paar führte ein unauffälliges Leben und zog in ein bürgerliches Viertel in Meckenheim bei Bonn um. Nachbarn beschreiben sie als freundlich, aber distanziert. "Sie hatten wenig Kontakt zu den anderen. Den Ehemann habe ich nie gesehen, obwohl wir in der Nähe wohnten", berichtet eine Nachbarin.
NATO-Unterlagen für Moskau
Dem Ehepaar sei es gelungen, einen niederländischen Diplomaten als Informanten anzuwerben, so die Bundesanwaltschaft. Dieser habe ihnen Dutzende geheime Unterlagen über die NATO und die Europäische Union besorgt. Darin soll es unter anderem um die Beziehungen zu Russland gehen.
Die Unterlagen seien über so genannte tote Briefkästen, also geheime Verstecke, an die SWR-Zentrale in Moskau weitergeleitet worden, heißt es in der Anklageschrift. Ihre Anweisungen bekam das Paar über Agentenfunk und verschickte eigene Meldungen über Satellit und eine Internetvideoplattform.
Bei ihrer Festnahme im Oktober 2011 soll die Frau vor einem Kurzwellenempfänger gesessen und Geheimbotschaften aufgezeichnet haben, berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Zu diesem Zeitpunkt wohnte das Paar in einem Haus in Michelbach, einer kleinen Gemeinde im Bundesland Hessen. Der Mann wurde am gleichen Tag im schwäbischen Balingen festgenommen. Tagelang durchsuchten deutsche Kriminalbeamte mit Spezialgeräten das Haus und das Grundstück des mutmaßlichen Agentenpaars. "Plötzlich spielte sich vor unseren Fenstern ein Spionagethriller ab. Es war wie ein Kinofilm", erinnert sich eine Nachbarin.
Austausch nach dem Urteil?
Wie konnte es sein, dass die mutmaßlichen russischen Agenten jahrzehntelang in Deutschland arbeiten konnten, ohne aufzufliegen? Nachbarn in Michelbach wollen den osteuropäischen Akzent des Paares erkannt haben. Doch es waren nicht die aufmerksamen Nachbarn, sondern US-Geheimdienste, die nach Medienberichten deutsche Ermittler auf die Spur brachten. Sowohl die russische Botschaft in Berlin als auch der Geheimdienst SWR in Moskau ließen DW-Anfragen dazu unbeantwortet.
Vor einiger Zeit versuchte die Bundesregierung offenbar, die beiden Agenten auszutauschen, eine seit Jahrzehnten übliche Praxis. Es ging um inhaftierte Agenten, die für einen mit Deutschland befreundeten Nachrichtendienst arbeiteten. Doch der Deal kam nicht zu Stande. Inzwischen wird spekuliert, ob das Paar doch ausgetauscht wird. "Mein Mandant gibt die Hoffnung nicht auf, dass ein solcher Austausch nach einem Urteil möglich ist", sagte der Strafverteidiger Pötschke der Berliner Zeitung "Die Welt". Im Prozess vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart wollen die beiden Angeklagten schweigen, so der Rechtsanwalt.