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Mustafa Dschemilews Kampf

Roman Goncharenko3. Juni 2014

Der ehemalige Anführer der Krimtataren, Mustafa Dschemilew, erhält den ersten Solidarnosc-Preis der polnischen Regierung. 70 Jahre nach der Zwangsumsiedlung kämpft er für das Recht, wieder in der alten Heimat zu leben.

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Mustafa Dschemilew versucht am 3. Mai 2014 vergeblich die Einreise auf die Krim (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Ein grauhaariger Herr in Anzug und Krawatte geht eine Landstraße entlang. Er ist umringt von Leibwächtern und wirkt klein und schutzlos. Weit kommt er nicht. Dutzende Polizisten in voller Kampfmontur versperren die Straße. Hinter ihnen stehen zwei Armeelaster. Der Mann dürfe nicht durch, sagt einer der Polizisten. Von der anderen Seite sind mehrere tausend meist junge Männer gekommen, um den älteren Herrn zu empfangen. Einige von ihnen durchbrechen die Absperrung und rufen "Mustafa!" Sie können dem älteren Herrn aber nicht helfen.

Die Szene spielte sich am 3. Mai an der "Grenze" zwischen der Ukraine und der im März von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim unweit der Stadt Armjansk ab. Der ältere Herr heißt Mustafa Dschemilew. Jahrzehnte lang war er Anführer der Krimtataren und wollte an jenem Tag nach Hause. Bis heute verweigern ihm die neuen Machthaber auf der Krim die Einreise.

Auszeichnung in Warschau

Lech Walesa und die Aufschrift "Solidarnosc" (Foto: Keystone/Getty Images)
Die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc mit Lech Walesa an der Spitze erkämpfte einen Machtwechsel in PolenBild: Getty Images/Keystone

Vor diesem Hintergrund bekommt Dschemilew am Dienstag (03.06.2014) den neuen Solidarnosc-Preis der polnischen Regierung, der mit einer Million Euro dotiert ist. Der Preis ist benannt nach der Gewerkschaft, die durch ihren Kampf gegen das kommunistische Regime zu ersten halbwegs freien Wahlen und einem Machtwechsel in Warschau 1989 beigetragen hatte.

Dschemilew werde für seine Verdienste "für Demokratie und den Respekt von Rechten und Bürgerfreiheiten in der Ukraine und insbesondere mit Blick auf die Tataren" ausgezeichnet, so die Begründung der polnischen Regierung.

Zwangsumsiedlung nach Usbekistan

Für den 70-Jährigen ist das Einreiseverbot auf die Krim besonders bitter. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten durfte Dschemilew am Gedenken an die Zwangsumsiedlung der Krimtataren am 18. Mai nicht teilnehmen. Nun muss er seinen Kampf um die Heimat, den er einst gewonnen hatte, erneut führen.

Mustafa Dschemilew wurde am 13. November 1943 in einem Dorf auf der damals von Nazi-Deutschland besetzten sowjetischen Krim geboren. Rund ein halbes Jahr später wurde seine Familie zusammen mit mehr als 180.000 Krimtataren nach Zentralasien deportiert. Als Grund nannte die Regierung in Moskau die angebliche Kollaboration der Krimtataren mit den Nazis. Dschemilews Familie wurde wie die meisten Krimtataren tausende Kilometer östlich der Krim, in die Sowjetrepublik Usbekistan umgesiedelt.

15 Jahre hinter Gittern

Bereits als Jugendlicher interessierte sich Dschemilew für die Geschichte seines Volkes auf der Krim. Er war noch keine 20 Jahre alt, als er "die Union der krimtatarischen Jugend" gründete. Die Organisation warb für die Rückkehr der Tataren in ihre Heimat und wurde deshalb von den sowjetischen Behörden verboten. Dschemilew verlor seinen Job als Dreher in einem Flugzeugwerk in Taschkent, durfte aber an einem Landwirtschaftsinstitut studieren. Allerdings nicht lange. 1965 wurde er aus formellen Gründen exmatrikuliert.

Ein Jahr später, im Mai 1966, wurde Dschemilew von einem Gericht verurteilt. Ihm wurde Wehrdienstverweigerung vorgeworfen. Er selbst beschuldigte den sowjetischen Geheimdienst KGB, ihn wegen seines Engagements für die Rechte der Krimtataren bestrafen zu wollen.

Später wurde Dschemilew fünf Mal verurteilt und verbrachte insgesamt rund 15 Jahre hinter Gittern. Er war befreundet mit berühmten sowjetischen Dissidenten, darunter mit dem Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow. Der Menschenrechtler Petro Grigorenko beschrieb Dschemilew in einer Zeitschrift als "einen Menschen mit unglaublich starkem Willen". So trat Dschemilew 1975 in einen zehnmonatigen Hungerstreik und wurde zwangsernährt.

Sowjetunion Physiker und Regimekritiker Andrej Sacharow
Ein Freund Dschemilews: Regimekritiker Andrej SacharowBild: picture-alliance/dpa

Ehemaliger Dissident geht in Politik

Während Michail Gorbatschows Perestroika wurde Dschemilew aus der Haft entlassen. Er kehrte 1989 mit seiner Familie auf die Krim zurück. 1991 wurde er zum Vorsitzenden der traditionellen Tatarenversammlung "Medschlis" gewählt, die er bis Ende 2013 leitete. Er kümmerte sich um die Rückkehr der Krimtataren aus Zentralasien. Es war eine Zeit voller Spannungen. Denn Häuser, in denen einst Krimtataren lebten, wurden zu Sowjetzeiten an Russen weitergegeben. Dschemilew gelang es, heftige Konflikte zu entschärfen.

In den 1990er Jahren engagierte sich Dschemilew in der Politik und wurde 1998 für die Partei "Narodny Ruch Ukrainy" (Volksbewegung der Ukraine) in das Parlament in Kiew gewählt. Er ist heute noch Abgeordneter, allerdings ein parteiloser. Während der "Orangenen Revolution" in Kiew 2004 stellten sich Dschemilew und die Krimtataren auf die Seite des prowestlichen Präsidentschaftskandidaten Viktor Juschtschenko.

Minister für Krim in Kiewer Regierung?

Tausende Tataren demonstrierten in Simferopol gegen eine Abspaltung der Krim von der Ukraine (Foto: EPA/ARTUR SHVARTS)
Tausende Tataren demonstrieren am 26. Februar 2014 in Simferopol gegen eine Abspaltung der Krim von der UkraineBild: picture-alliance/dpa

Als Ende Februar 2014 die prorussische Stimmung auf der Krim immer stärker wurde, demonstrierten tausende Tataren gegen eine Abspaltung von der Ukraine. Kurz vor der Annexion der Halbinsel versuchte Russlands Präsident Wladimir Putin, Dschemilew auf seine Seite zu ziehen. "Er wollte offenbar, dass wir Neutralität wahren, obwohl das Wort nicht ausgesprochen wurde", so Dschemilew in einem Fernsehinterview über sein halbstündiges Telefonat mit dem Kremlchef. Die rund 300.000 Krimtataren nahmen an dem "Referendum" über den Anschluss der Krim an Russland am 16. März nicht teil. Sie verzichteten aber darauf, einen bewaffneten Kampf gegen die sogenannte Volksbefragung zu führen.

Heute lebt Dschemilew in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der am 25. Mai gewählte neue Präsident Petro Poroschenko kündigte an, ein Ministerium für Krim-Angelegenheiten einzurichten. Als möglicher Leiter ist Dschemilew im Gespräch.