NATO will Winterhilfe für die Ukraine
29. November 2022Es geht beim Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der weltweit größten Militärallianz nicht um Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine, sondern um sogenannte "Winterhilfe", also Decken, Zelte, warme Kleidung, Generatoren, Transformatoren und Störsender zur Abwehr von Drohnen. "Die NATO liefert nur nicht-tödliche Ausrüstung", hatte der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, vor dem Treffen in Bukarest noch einmal betont. Waffen können und sollen nur die einzelnen Mitgliedsstaaten der NATO liefern, nicht die Allianz als Organisation. Dann könnte sie als Kriegspartei angesehen werden. Eine offene Konfrontation mit Russland und seinem Machthaber Wladimir Putin will das Militärbündnis unbedingt vermeiden. Generalsekretär Stoltenberg ist davon überzeugt, dass Russland seinerseits keinen Angriff auf NATO-Territorium plant.
Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis, der mit sechs baltischen und nordischen Kollegen am Montag in Kiew zu Gast war, glaubt, dass mehr Panzer, Flugabwehrsysteme und andere schwere Waffen notwendig seien, um die Ukraine zum Sieg gegen den Angreifer Russland zu führen. "Bleibt ruhig und gebt Panzer!", twitterte Landsbergis nach seinem Besuch in der Ukraine.
In einem Interview mit der DW sagte der litauische Außenminister in Bukarest, vorrangig müsse die Versorgung mit Elektrizität sicher gestellt werden, allerdings seien auch mehr Waffen nötig. "Wir brauchen Panzerlieferungen an die Ukraine", sagte Landsbergis. Diese seien wichtig, um das Kriegsgeschehen zugunsten der Ukraine zu wenden. Mit konkreten Zusagen für weitere schwere Waffen ist aber beim Außenministertreffen der NATO nicht zu rechnen. Genau diese wird der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der bei einem Abendessen im monströsen postkommunistischen Marmorpalast in Bukarest zu Gast ist, einfordern.
Winterhilfe der G7
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock will sich in Bukarest auf die praktische Winterhilfe konzentrieren, die es den Menschen in der Ukraine ermöglichen solle, über diesen Winter zu kommen. Bei Fragen von Reportern nach mehr Waffen aus Deutschland, verweist sie ausweichend darauf, was Deutschland schon geliefert habe, unter anderem ein modernes Abwehrsystem vom Typ Iris-T. Drei weitere sollen nächstes Jahr folgen. "Wir erleben auf brutale Weise, dass der russische Präsident jetzt Kälte als Kriegswaffe einsetzt. Ein brutaler Bruch nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit unserer Zivilisation", erklärte die Außenministerin. Sie komme mit ihren Kolleginnen und Kollegen als Freunde, als Mitmenschen der Ukrainer zusammen. "Wenn man sich fragt, wie lange würde man selber mit seiner Familie, mit seinen kleinen Kindern ohne Strom ohne Wasser ohne Wärme bei 2 Grad, oder -2 Grad oder -12 Grad aushalten können - dann kann man sich im Entferntesten ausdenken, was den Menschen in der Ukraine jetzt bevorsteht." Nur 250 Kilometer von Bukarest entfernt beginne der russische Terror, so Baerbock.
Deutschland hat 150 Millionen Euro für Winterhilfen zugesagt. Bei einem spontan angesetzten Treffen der größten westlichen Industriestaaten und rund 15 Partnern aus der NATO, will Annalena Baerbock, die zurzeit Vorsitzende der G7 ist, möglichst viele Spenden für die Ukraine einsammeln. Die Bemühungen müssten koordiniert werden. Die USA haben ein größeres Paket für die Winterhilfe angekündigt.
"Wir müssen mehr tun"
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte die einzelnen Mitgliedsstaaten auf, ihre Anstrengungen beim Reparieren der Schäden, die durch russische Angriffe auf Infrastruktur entstehen, zu verstärken. "Wir müssen mehr tun, um Gas- und Stromversorgung wieder herzustellen, aber wir müssen auch mehr Luftverteidigungsysteme zur Verfügung stellen. Die Systeme, die bereits geliefert wurden, müssen instandgehalten werden. Ersatzteile und vor allem Munition müssen von die Alliierten bereitgestellt werden", verlangte Stoltenberg. Das Problem vieler NATO-Staaten ist nach Einschätzung von NATO-Diplomaten, dass die Depots langsam leer laufen und neue Geschosse für Haubitzen, Iris-T und Patriot nicht so schnell nachproduziert werden können, wie die ukrainischen Streitkräfte sie verschießen müssen. Man müsse ja auch an die eigene Verteidigungsfähigkeit denken und könne nicht alles hergeben, so ein NATO-Diplomat.
Die deutsche Bundeswehr hat nach Medienberichten nur einen Munitionsvorrat, der im Kriegsfall einige Tage reichen würde. Mehr nicht. Das Auffüllen der deutschen Bestände auf NATO-Standards soll rund 20 Milliarden Euro kosten. Das Problem sei aber weniger das Geld, so NATO-Diplomaten, sondern die mangelnde Kapazität der Waffenindustrie. Der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, sagte im Deutschlandfunk, Deutschland müsse weiter liefern, aber die Beschaffung müsse wesentlich schneller werden. Weder die Politik noch die Waffenindustrie hätten verstanden, wie die "Zeitenwende", also eine grundlegende Reform der deutschen Armee und der Verteidigungspolitik, umzusetzen sei.
Präsident Johannis: Beschlüsse umsetzen
Die NATO-Außenminister treffen sich in Rumänien auch um zu demonstrieren, dass nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar die Ostflanke der Allianz mit vier neuen "Kampfgruppen" in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien verstärkt wurde. Vier "Kampftruppen" gab es zuvor schon in den baltischen Staaten und Polen. Diese Einheiten umfassen zurzeit jeweils um die 1000 Soldaten und sollen nach einem Beschluss des NATO-Gipfeltreffens in Madrid im Juli auf bis zu 5000 Soldaten anwachsen können. Dazu sollte Ausrüstung und Bewaffnung schon vorsorglich in den Ländern an der Ostflanke eingelagert werden.Das geschieht aber nach Auffassung des Gastgebers der NATO-Tagung, des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, zu langsam. "Die getroffenen Entscheidungen müssen jetzt in die Tat umgesetzt werden. Es muss jetzt passieren. Im Falle eines Angriffs müssen wir Pläne haben, wer welche Truppen wohin schicken wird. Das können wir nicht im letzten Moment entscheiden. Wir dürfen uns nicht überrumpeln lassen", mahnte Klaus Johannis nach einem Treffen mit dem NATO-Generalsekretär. Beim nächsten Gipfeltreffen im kommenden Jahr in Vilnius müssen "mutigere Entscheidungen" in diesem Bereich getroffen werden. Für die eigene Verteidigung brauche man das entsprechende Material und die Menschen.
Schwierige Beitritte
Beim Tauziehen mit der Türkei um einen Beitritt von Schweden und Finnland zur NATO werden in Bukarest keine Fortschritte erwartet. Die Türkei verlangt vor allem von Schweden eine bessere Zusammenarbeit bei der Verfolgung von angeblichen Terroristen. Alle 30 NATO-Staaten müssen der im Mai beantragten Aufnahme von Schweden und Finnland zustimmen. Das "Okay" steht nur noch von der Türkei und Ungarn aus. Schweden und Finnland nehmen als Beitrittsbewerber bereits an fast allen Sitzungen des NATO-Rates teil, so auch in Bukarest.
Eine Mitgliedschaft der Ukraine steht nicht an. Erst einmal müsse man sich auf den Krieg gegen Russland konzentrieren. So lange der laufe, sei eine Mitgliedschaft unmöglich, meinen NATO-Diplomaten. Gabrielius Landsbergis, der Außenminister Litauens sprach sich gegenüber der DW in Bukarest dagegen für eine schnelle Vollmitgliedschaft der Ukraine aus. 2008 hatte die NATO, damals noch in einer anderen völlig anderen geopolitischen Lage, der Ukraine und Georgien bei einem Gipfeltreffen in Bukarest die Mitgliedschaft zugesagt - ohne einen Termin zu nennen. "Die Tür zur NATO bleibt offen", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der 2008 bereits als norwegischer Ministerpräsident bei dem historischen Gipfel dabei war.