Startschuss für ESM
8. Oktober 2012Ob am Montag (08.10.2012), am Tag der Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), ein Türschild am schlichten Bürogebäude auf dem Luxemburger Kirchberg angebracht wird, sei noch unklar, erklärte der neue Pressesprecher Wolfgang Proissl. Eigentlich sei ja noch gar nichts zu sehen, sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der ESM, der permanente Rettungsfonds, der in wenigen Monaten über 700 Milliarden Euro verfügen soll, ist zurzeit noch Untermieter in den Räumen des bisherigen vorläufigen Rettungsschirms (EFSF). Der wiederum besiedelt seit zwei Jahren eine unscheinbare Büroetage gleich neben einem Supermarkt und unweit der europäischen Statistikbehörde. Die rund 40 Mitarbeiter des EFSF sollen den ESM aufbauen. Spätestens im Sommer 2013 soll dann der permanente Fonds ESM als eigenständige europäische Institution die Rettungsaktionen für schwächelnde Euro-Staaten stemmen.
Der Deutsche Klaus Regling, der Chef des EFSF, wird auch geschäftsführender Direktor des ESM sein und wieder Pionierarbeit leisten. "Wir haben alles vorbereitet, so dass der ESM vom ersten Tag an als permanenter Stabilisierungsmechanismus der Euro-Zone arbeiten kann", sagte Regling in einer Pressekonferenz. "Es wird einen reibungslosen Übergang von der einen zur anderen Institution geben." Am Ende sollen in Luxemburg rund 100 Mitarbeiter das Geld für die Rettung maroder Euro-Staaten und maroder Banken besorgen.
ESM kann 500 Milliarden Euro verleihen
Die 17 Mitgliedsstaaten der Euro-Zone zahlen 80 Milliarden Euro an Eigenkapital in bar in den ESM ein. 620 weitere Milliarden werden als Bürgschaften zugesagt. Mit diesen Zusagen im Rücken wird der ESM wie bislang schon der vorläufige Rettungsschirm EFSF auf den internationalen Kapitalmärkten Anleihen verkaufen. Das eingenommene Geld wird dann den hilfsbedürftigen Staaten geliehen. "Wir beginnen auch damit, den ESM bei Investoren in aller Welt zu vermarkten. So werden alle Investoren über den ESM als neuen Marktteilnehmer informiert", sagte Klaus Regling. Die Investoren müssen dem ESM seine Anleihen abkaufen, damit das ganze System funktioniert. Wirklich ausgeliehen werden von den 700 Milliarden Euro nur maximal 500 Milliarden Euro. Der Rest wird als sogenannte "Übersicherung" einbehalten, um Anlegern und Investoren die Sicherheit zu vermitteln, dass im Zweifelsfall der ESM seine Anleihen zurückzahlen kann. Deutschland steuert als größtes Land in der Euro-Zone rund 27 Prozent des Kapitals bei, gefolgt von Frankreich und Italien.
Mehr Geld nur mit deutscher Zustimmung
Das theoretische finanzielle Risiko liegt für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei 27 Prozent von 700 Milliarden Euro, macht rund 190 Milliarden Euro. Dieser Summe hat der Bundestag zugestimmt. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte mit dieser Haftungsobergrenze die ESM-Gesetze gebilligt. Wolfgang Schäuble sitzt als deutscher Vertreter im "Gouverneursrat" des ESM. Zusammen mit den anderen 16 Finanzministern der Euro-Zone wird Schäuble im Gouverneursrat entscheiden, welches Land wie viele Hilfen und zu welchen Bedingungen bekommen soll.
Bei Bedarf soll der Gouverneursrat auch eine Erhöhung des Kapitals beschließen können. Zuvor müsste Schäuble aber den deutschen Bundestag um Erlaubnis bitten. Im Interview mit der Deutschen Welle hatte Finanzminister Schäuble sich erleichtert gezeigt, dass das Verfassungsgericht dem ESM zugestimmt hat: "Er verletzt nicht das Grundgesetz. Und es ist gut, dass das Verfassungsgericht das gründlich geprüft hat, denn jetzt glaubt es auch die Bevölkerung." Die Finanzminister der Euro-Zone hatten bei ihrem letzten Treffen auf Zypern im September noch einmal bestätigt, dass der ESM wichtige Entscheidungen nur einstimmig, also nie gegen den Willen eines Mitgliedslandes fällen kann.
Erster Kunde: Spanien?
Erster Kunde des permanenten Rettungsschirms dürfte Spanien werden. Die Regierung in Madrid hatte angekündigt, sie wolle 40 Milliarden Euro beantragen, um heimische Pleite-Banken wieder mit Kapital zu versorgen. Der ESM kann anders als der Vorgänger EFSF Banken direkt unterstützen, ohne dass diese Kredite dem Ursprungsland der Bank als neue Staatsschulden angerechnet werden. Der ESM verfügt außerdem über eine Banklizenz, kann sich also Geld auf dem Kapitalmarkt leihen. Der neue Rettungsfonds kann auch direkt bei den Staaten Staatsschulden aufkaufen, bisher ging das nur auf dem Sekundärmarkt, also bei Banken und Anlegern, die zum Beispiel griechische Staatsanleihen besitzen und diese loswerden wollen. Zypern hat ebenfalls einen Hilfsantrag gestellt. Über Höhe und Bedingungen herrscht noch keine Klarheit.
"ESM ist eine große Bad Bank"
Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts IFO in München, Hans-Werner Sinn, warnte in einem Gespräch mit dem Fernsehsender Phoenix schon im Sommer vor allzu großen Erwartungen an den ESM. Der neue Fonds bringe keine Lösung für die Ursachen der Schuldenkrise, sondern könne etwas mehr Zeit kaufen. Der ESM sei vor allem für Anleger nützlich, die ihre wertlosen Staatsanleihen und große Risiken loswerden wollten. "Die, die jetzt die Papiere haben, wollen sich da gerne aus der Affäre ziehen. Und deswegen wollen sie, dass eine große Bad Bank mit dem Namen ESM in Luxemburg gegründet wird. Die wollen eine Bankenunion und letztlich eine Sozialisierung der Schulden in Europa. Damit die noch starken Länder einstehen können für die Lasten, die die schwachen Länder nicht mehr tragen können", sagte Hans-Werner Sinn.
"ESM wird erfolgreich sein"
Klaus Regling, der neue Direktor des ESM und bisherige Chef des EFSF, sieht das naturgemäß weniger kritisch. "Mit all den Vorbereitungen, den Strukturen des ESM und seinem beachtlichen Kapital bin ich zuversichtlich, dass sich der ESM genauso erfolgreich am Markt behaupten kann, wie es der EFSF bislang getan hat", sagte Regling vor Journalisten. Der bisherige EFSF hat seit seiner Gründung im Juni 2010 keine Verluste gemacht und etwas über 60 Milliarden Euro an Anleihen auf den Finanzmärkten platziert. Sein Rating liegt bei der Spitzennote AAA. Allerdings hat die Agentur Moody's eine Abwertung in Aussicht gestellt, denn ein Rettungsfonds könne nur so gut sein wie seine Mitglieder. Und da sieht Moody's bei den Euro-Ländern, den Besitzern des EFSF und des ESM, einen Abwärtstrend. Der Gründungsdirektor des EFSF, Klaus Regling, hatte im Juni 2010 gesagt, er gehe davon aus, dass die bloße Existenz des EFSF die Finanzmärkte beruhigen würde. Der Fonds werde wohl nie wirklich gebraucht werden. Zwei Jahre später wissen wir es besser. Der ehemalige EU-Spitzenbeamte Regling irrte sich. Inzwischen hängen Griechenland, Irland und Portugal am Rettungsschirm. Zypern und Spanien sind kurz davor konkrete Anträge zu stellen.