"Neuwahl in Istanbul unzureichend begründet"
23. Mai 2019200 Seiten lang ist die Begründung der Hohen Wahlkommission YSK, in aller Ausführlichkeit erläutert die türkische Behörde ihre Entscheidung, die Kommunalwahl in der größten Stadt des Landes wiederholen zu lassen. Seit dem späten Mittwochabend ist das Dokument der YSK bekannt - siebeneinhalb Wochen nach der Abstimmung in Istanbul, und 15 Tage, nachdem das Ergebnis aufgehoben worden war.
Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Ekrem Imamoglu, hatte die Bürgermeisterwahl am 31. März knapp vor dem früheren Ministerpräsidenten Binali Yildirim gewonnen. Die YSK annullierte die Abstimmung jedoch Anfang Mai wegen angeblicher Regelwidrigkeiten und gab damit einem Antrag der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP statt. Nach Angaben der Wahlbehörde betrug der Unterschied zwischen Imamoglu und Yildirim zuletzt nur 13.729 Stimmen.
"Wahlergebnis ist nicht vertrauenswürdig"
In der nun vorgelegten Begründung der YSK heißt es unter anderem, dass insgesamt 30.281 Stimmen von 108 Wahlurnen für ungültig erklärt worden seien. Die Stimmen hätten nicht ordnungsgemäß erfasst werden können - das betreffende Ergebnis sei daher nicht vertrauenswürdig. An 754 Urnen seien die Vorsitzenden der Wahlräte, anders als gesetzlich vorgesehen, keine Beamten gewesen.
Das hätten die der YSK untergeordneten Bezirkswahlbehörden nicht begründen können, heißt es weiter. "Die Unregelmäßigkeiten wurden als Vorfälle angesehen, die die Glaubwürdigkeit der Wahlen untergruben." Angesichts des geringen Stimmenunterschieds sei davon auszugehen, dass all dies Einfluss auf das Endergebnis habe, argumentiert die Wahlbehörde. Doch vier der elf Mitglieder des Gremiums, darunter auch sein Leiter, sehen dies anders und stimmten gegen die Aufhebungsentscheidung.
"AKP hatte auch an den beanstandeten Urnen ihre Beobachter"
Der Hohe Präsident der Wahlkommission, Sadi Güven, hat eine persönliche Stellungnahme an die YSK-Erklärung angehängt. Jeder Wahlrat bestehe aus sieben Personen, schrieb er, und es gebe keine Beweise dafür, dass regelwidrig beauftragte Vorsitzende allein Einfluss auf das Ergebnis der Wahl haben könnten. Zudem reiche auch "nach der Bestimmung des Verfahrens zur Bildung der Wahlräte" die regelwidrige Zusammensetzung solcher Räte als Grund nicht aus, um die Wahl selbst für ungültig zu erklären. Güven macht auch darauf aufmerksam, dass die AKP selbst an den beanstandeten Urnen eigene Beobachter hatte.
Die Annullierung der Istanbuler Bürgermeisterwahl war auch im Ausland auf erhebliche Kritik gestoßen. Die EU sprach von Intransparenz. Die Wahl wird am 23. Juni wiederholt. Der ursprüngliche Wahlsieger Imamoglu musste das gerade übernommene Bürgermeisteramt wieder abgeben. Eine seiner wichtigsten Unterstützerinnen wurde inzwischen angeklagt - unter anderem von Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich.
Die Staatsanwaltschaft Istanbul hat die Klage gegen die CHP-Politikerin Canan Kaftancioglu am Donnerstag eingereicht - und fordert mindestens elf Jahre Haft. Die Vorwürfe lauteten auf Terrorpropaganda, Volksverhetzung, Präsidentenbeleidigung, Beamtenbeleidigung und Verunglimpfung des Staates, berichtet die Nachrichtenagentur DHA. Dabei geht es um Beiträge, die Kaftancioglu zwischen 2012 und 2017 in sozialen Medien geteilt haben soll. Die Ermittlungen hatten schon im Januar 2018 begonnen. Kaftancioglu ist als CHP-Chefin von Istanbul eine einflussreiche Figur im neuen Kommunalwahlkampf.
rb/uh (dpa, rtr)