Historische Wahlschlappe
11. Juni 2014David Brat, ein völlig unbekannter Wirtschaftsprofessor an einem kleinen College in Virginia, landet einen Erdrutschsieg gegen den langjährigen Mehrheitsführer der Republikaner im US-Kongress. Eric Cantor, der zweitmächtigste Republikaner im Kongress, gab für seinen Wahlkampf 25 Mal mehr Geld aus als sein Herausforderer und verlor trotzdem mit mehr als zehn Prozentpunkten Unterschied. Mehr "Underdog gewinnt gegen Establishment" geht nicht.
Die gänzlich unerwartete Vorwahlschlappe Cantors in Virginia stürzt die konservative Partei erneut in eine tiefe Krise. Dabei hatte die Partei doch geglaubt, die andauernden Grabenkämpfe zwischen den eher moderaten Republikanern und den erzkonservativen Tea-Party-Aktivisten endlich überwunden zu haben und einigermaßen geschlossen in die anstehenden Zwischenwahlen im Herbst ziehen zu können.
Innerparteilicher Bürgerkrieg
"Das ist ein Schock, ein echter Hammer", sagt Michael John Williams, US-Experte an der University of London. "Es zeigt, dass innerhalb der Republikanischen Partei ein Bürgerkrieg tobt."
Ein Hauptschauplatz dieses Kampfs um die politische Ausrichtung der Partei ist die Einwanderungsreform. Sie wird von Präsident Obama und den Demokraten seit langem gefordert und vorangetriebenen. Obama hat wohl auch deshalb die letzte Wahl gewonnen, weil viele Einwanderer aus Lateinamerika - die sogenannten Hispanics - die Republikaner wegen ihrer Ablehnung der Einwanderungsreform für unwählbar halten. Deshalb versuchte die Parteiführung gegenzusteuern: moderate Reform der Einwanderungsgesetze statt Anti-Immigrationshaltung war seitdem die Devise. Dieser Kurs ist nun gescheitert.
"In den vergangenen Monaten hieß es, das Establishment ist wieder da", sagt Vincent Michelot, US-Experte an der Sciences Po Universität in Lyon. "Denn die Tea Party hatte zahlreiche Niederlagen erlitten und war auch in der gegenwärtigen Wahlperiode nicht so präsent wie früher. Aber mit diesem Erfolg hat die Tea Party klar bestätigt, dass weiter mit ihr zu rechnen ist."
Aus für Einwanderungsreform
Eine politische Konsequenz aus der historischen Wahlschlappe Cantors bei den Vorwahlen könnte nun das Aus für die geplante Einwanderungsreform sein. Zwar signalisiert der Sieg über Cantor noch keinen Trend hin zur Tea Party, denn in zahlreichen anderen Vorwahlen gewannen Kandidaten des Partei-Establishments. Aber von der Wahlniederlage geht dennoch eine klare Botschaft an republikanische Kandidaten aus:
"Jeder Republikaner, der das Tabu-Thema 'Liberalisierung der Einwanderung' anspricht, muss sich der möglichen Konsequenzen nicht nur für die Vorwahlen, sondern auch für die Hauptwahl bewusst sein", betont Michelot.
Mit der Niederlage Cantors könnte jedoch nicht nur das Schicksal der Einwanderungsreform besiegelt sein. Auch die Erfolgsaussichten der Republikaner bei künftigen Wahlen haben einen kräftigen Dämpfer erhalten, meint US-Experte Williams: "Die Republikanische Partei ist jetzt in der bizzaren Situation, in der viele ihrer gegenwärtigen Wähler eine Einwanderungsreform ablehnen, aber die Wähler, die sie in der Zukunft braucht, die Hispanics, diese Reform wollen." Cantor kündigte bereits seinen politischen Rückzug an.