Nord Stream 2: Suche nach EU-Konsens
26. Januar 2019Der EU-Gasmarkt sieht strenge Wettbewerbsregeln und Verbraucherrechte vor. Doch sie gelten nicht für Pipelines, die aus Drittländern Richtung EU führen, also auch nicht für die umstrittene Pipeline Nord Stream 2. Die Leitung wird derzeit von Russland nach Deutschland auf dem Grund der Ostsee verlegt. Im November 2017 schlug die EU-Kommission vor, die Richtlinien des sogenannten "Dritten Energiepakets" der EU auch auf Nord Stream 2 auszudehnen. Diese Regelungen beinhalten etwa, dass der Betreiber der Pipeline nicht gleichzeitig auch das Gas fördern und verkaufen darf. Darüber hinaus muss allen interessierten Unternehmen der Zugang zur Leitung offen stehen. Schließlich müssen die Tarife transparent geregelt werden.
Bislang kam die Initiative aber kaum voran. Für einen Beschluss ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des EU-Rates nötig. Doch auf Ministerebene blieb die Initiative stecken. Über das weitere Vorgehen entscheidet der Staat, der gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Das war im ersten Halbjahr 2018 Bulgarien, das die Initiative skeptisch sieht. Im zweiten Halbjahr hatte Österreich den Vorsitz, das die Initiative komplett ablehnt. Doch am 1. Januar übernahm Rumänien die Präsidentschaft. Bukarest drängt auf eine schnelle Lösung und legte deshalb rasch einen eigenen Entwurf zur Initiative der EU-Kommission vor.
Spaltung innerhalb der EU
Bislang war keine Mehrheit für diese Initiative in Sicht. Schließlich müssen 16 von 28 Staaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU ausmachen, dafür sein. Vor allem Polen und die baltischen Länder sehen in Nord Stream 2 eine Gefahr für die Sicherheit. Sie wollen das Projekt verhindern oder zumindest durchsetzen, dass auch für diese Pipeline EU-Richtlinien gelten. Die Initiative der EU-Kommission wird auch von Großbritannien, Italien und mehreren kleineren EU-Staaten unterstützt.
Deutschland, Österreich und die Niederlande hingegen wollen Nord Stream 2, am liebsten ohne zusätzliche Regularien. Firmen aus diesen Ländern beteiligen sich an dessen Bau. Zustimmung kommt auch aus Belgien. Thomas Bareiß, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, machte im Dezember deutlich, dass neue Versorgungswege, darunter neue LNG-Terminals und weitere Pipelines aus weiteren Ländern gebraucht würden, um die Versorgungssicherheit in der EU zu gewährleisten. Gleichzeitig betonte er, dass Berlin auch eine Fortsetzung des Gastransits durch die Ukraine für wichtig hält. Vor diesem Hintergrund sei es "schwer vorstellbar, dass etwas beschlossen wird, das sich sehr negativ auf Nord Stream 2 auswirken wird", sagte Egenhofer vom Centre for European Policy Studies in Brüssel gegenüber der DW.
Entscheidend sei die Position Frankreichs. Sollte Paris gegen die Initiative stimmen oder sich enthalten, käme keine Mehrheit zustande. Doch Frankreich ist noch unentschlossen. Die Regierung in Paris prüft mögliche Auswirkungen der Initiative der EU-Kommission auf Franpipe, eine Leitung, über die norwegisches Gas nach Frankreich fließt. Normalerweise befürworte Paris eher europäische Lösungen, so Egenhofer. Andererseits unterstütze Paris auch Nord Stream 2.
Rumänien bietet Lösung an
Bukarest schlägt daher nun vor, die Definition der sogenannten "Interkonnektoren" zu ändern. Das sind Leitungen, die Gastransportsysteme von EU-Staaten miteinander verbinden. Laut dem rumänischen Entwurf, der der DW vorliegt, soll diese Definition auf Pipelines ausgeweitet werden, die die EU mit Drittländern verbinden. Das entspricht dem, was die EU-Kommission vorschlägt, mit einer Ausnahme: Die Regelungen sollen nicht für "Upstream-Piplines" gelten, also für Leitungen, die direkt von den Förderstätten bis zu den Gastransportsystemen verlaufen. Eine solche Lösung könnte die französischen Befürchtungen bezüglich Franpipe ausräumen. Die Leitung führt nämlich von den norwegischen Förderstätten in der Nordsee direkt nach Frankreich.
Der rumänische Außenminister Teodor Melescanu erklärte, sein Land werde nur dann für den eigenen Entwurf stimmen, wenn ihn eine Mehrheit unterstützt. "Es ist unsere Pflicht einen Konsens zu finden, der für die meisten Staaten akzeptabel ist", sagte er der DW bei einer Veranstaltung in European Policy Centre in Brüssel.
Wenig Zeit bis zu den Wahlen
Doch für einen Kompromiss bleibt wenig Zeit. Im Mai findet die Europawahl statt. Danach muss zunächst eine neue EU-Kommission gebildet werden, die nicht vor November stehen wird. Währenddessen geht der Bau von Nord Stream 2 weiter. Und wenn der Brexit wie geplant am 29. März kommt, dann verliert die ganze Initiative mit Großbritannien auch noch einen ihrer größten Befürworter.
Der Faktor Zeit spielt auch bei den parallel laufenden Verhandlungen über einen neuen Vertrag zum Transit russischen Erdgases durch die Ukraine in die EU eine große Rolle. Der jetzige Vertrag läuft am 31. Dezember aus. Sobald Nord Stream 2 in Betrieb ist, wird Russland deutlich mehr Gas durch die Ostsee pumpen und damit den Transit durch die Ukraine reduzieren können.