Die Forderungen des NSU-Ausschusses
23. August 2013Für Sebastian Edathy haben die deutschen Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) deutlich versagt. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender des Untersuchungsausschusses im Bundestag, der sich in den vergangenen eineinhalb Jahren mit den Taten des NSU auseinandergesetzt hat. Ihre Ermittlungspannen seien ein "historisch beispielloses Desaster" gewesen, sagt er. In beeindruckender Einvernehmlichkeit über die Parteigrenzen hinweg haben sich die Mitglieder des Ausschusses auf Vorschläge geeinigt, die ein solches Versagen von Polizei und Geheimdiensten in Zukunft verhindern sollen.
Die Empfehlungen nehmen nur fünf Seiten der über 1000 des gesamten Abschlussberichts ein. Es sind 47 Punkte, die zu tiefgreifenden Reformen anregen sollen. Davon befassen sich 21 mit der Arbeit der Polizei, der Rest verteilt sich auf Justiz und Verfassungsschutz.
NSU-Debakel als warnendes Beispiel
Den Polizisten auf Bundes- und Landesebene wird attestiert, in Bezug auf rechte Gewalt ziemlich arglos zu sein. Jetzt sollen sie diese Ermittlungsrichtung immer mit berücksichtigen, wenn die Opfer dazu Anlass geben. Wenn die Beamten einen rechtsextremen Hintergrund bei einer Tat ausschließen, sollen sie ihre Gründe dokumentieren. Überhaupt möchte der Ausschuss verhindern, dass die Ermittlungen bei schweren Straftaten "von eingefahrenen Denkmustern geprägt sind" und Hinweise, die in andere Richtungen deuten, vernachlässigt werden. Liegen gebliebene Untersuchungen sollen unter diesem Gesichtspunkt wieder aufgenommen werden.
Die Dienststellen auf allen Ebenen müssen sich besser vernetzen und koordinierter arbeiten, schreiben die Ausschussmitglieder. Und: Die Behörden sollen lernen, mit Fehlern umzugehen und aus ihnen zu lernen. "Zwischen unseren Sicherheitsbehörden gibt es zuweilen mehr Konkurrenz als Kooperation", sagt Edathy.
Es sei zudem gut, Bewerber unterschiedlicher Herkunft für den Polizeiberuf zu gewinnen, damit die Vielfalt der deutschen Gesellschaft wieder gespiegelt werde. Interkulturelle Kompetenz müsse ein fester Bestandteil der Ausbildung werden. Die Lehren aus den Ermittlungspannen sollen bei der Ausbildung aufgearbeitet werden. Davon verspricht man sich, dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus nicht mehr unterschätzt werden.
Straffere und sensiblere Justiz
Zehn Punkte gehen auf die Rolle der Justiz und ihrem Versagen angesichts des NSU-Terrors ein. In einer Reihe von Fällen sind Verfahren ergebnislos und schleppend verlaufen. Beweismittel, die heute wichtig sein könnten, sind inzwischen vernichtet. Asservate aus ungeklärten Fällen sollen deswegen frühestens nach Ablauf der längsten gesetzlichen Frist vernichtet werden dürfen. Da sich der Generalbundesanwalt bei den meisten NSU-Straftaten nicht für zuständig gehalten hat, fordern die Abgeordneten Qualitätsstandards für die Prüfung, wann er die Ermittlungen übernehmen muss.
Der Untersuchungsausschuss folgert aus seiner Arbeit, dass die Ermittlungen dadurch behindert worden sind, dass zu viele Staatsanwaltschaften zuständig gewesen seien, und rät dazu, schneller Sammelverfahren einzuleiten. Überhaupt sollten Richter, Staatsanwälte und Justizvollzugbedienstete eine Aus- und Fortbildung erhalten, die sie befähigt, Gewalt und Bedrohung von Rechts besser wahrzunehmen.
Umdenken beim Verfassungsschutz gefordert
Mit dem Inlandsgeheimdienst beschäftigen sich die Punkte 32 bis 42. Bei diesen gehen die Auffassungen der verschiedenen Fraktionen im Ausschuss weit auseinander, weshalb der Bericht diesbezügliche Empfehlungen als "Sofortmaßnahmen und Minimalkonsens" bezeichnet. Die Linke will den Verfassungsschutz ersatzlos auflösen, die Grünen ihn neu aufbauen.
Alle Ausschussmitglieder sind sich einig, dass der Verfassungsschutz ziemlich unkoordiniert gehandelt hat. Eine Menge bedeutsamer Informationen seien nicht oder unzureichend ausgewertet worden. Eine Zusammenführung habe nicht stattgefunden. Deswegen fordern sie eine bessere Koordination der Arbeit und die zentrale Erfassung von Informationen. Weil die Verfassungsschutzbehörden bei ihrer Einschätzung des Rechtsterrorismus glatt falsch lagen, soll es einen "umfassenden Mentalitätswechsel" geben. Er müsse sich öffnen und lernen, mit gesellschaftlicher Vielfalt umzugehen.
Uneinigkeit über V-Leute
Hart ins Gericht geht der Ausschuss mit dem Einsatz von Informanten aus der rechten Szene, den Vertrauens -, oder V-Leuten. Die Abgeordneten sehen schwere Mängel. Aber auch hier gibt es starke Unterschiede in der Beurteilung der Fraktionen. Grüne und Linke sähen es am liebsten, wenn Polizei und Nachrichtendienste auf V-Leute verzichten. Als Kompromiss bleibt: Der Ausschuss wünscht sich klare gesetzliche Regeln für den Umgang mit den Informanten - je nachdem, ob sie freiwillig, unentgeltlich, auf Anwerbung oder für eine Gegenleistung mit den Behörden zusammenarbeiten. Es müsse klar festgelegt werden, wer für eine solche Spitzeltätigkeit geeignet sei und wer nicht.
Der Obmannn der Union im Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, ist zuversichtlich, dass der Bericht in Reformen münden wird. "Die Stärke dieser Empfehlungen und des gesamten Berichtes liegt ja darin, dass er von allen Fraktionen getragen wird und dadurch, glaube ich, entsteht auch ein hoher Veränderungsdruck", sagte Binninger. Eine Zwischenbilanz hält der CDU-Abgeordnete in zwei Jahren für sinnvoll. "Dann werden wir sehen müssen, was wurde umgesetzt, was steht noch aus." Zunächst wird der Bericht im Bundestag in einer Sondersitzung am 2. September behandelt. Daran werden auch Bundespräsident Joachim Gauck und Angehörige der Opfer teilnehmen.