Ein Wendehals?
6. Juli 2008Nur gut einen Monat nach dem Sieg Barack Obamas bei den Präsidentschaftsvorwahlen macht sich Irritation an der Basis bemerkbar. "Change" war das Zauberwort, mit dem der Senator Hillary Clinton hatte schlagen können. Doch der liberale Kern seiner Anhänger fühlt sich gleich durch mehrere Entscheidungen und Äußerungen des Kandidaten vor den Kopf gestoßen - von der Wahlkampf-Finanzierung bis hin zur Todesstrafe.
Verwirrung um Irak-Politik
Seine Irak-Pläne, ursprünglich Obamas außenpolitisches Paradepferd im Wahlkampf, sorgen ebenfalls für Ärger. Hatte er ursprünglich versprochen, die Truppen binnen 16 Monaten abzuziehen, klangen seine jüngsten Äußerungen ganz anders: Obama hatte zuletzt erklärt, er gehe davon aus, seine Pläne für einen schnellen Truppenabzug nach Gesprächen mit den Generälen der US-Armee im Irak zu überarbeiten. Seine Erläuterungen verwirrten eher noch: Der Zeitplan, die Kampfhandlungen amerikanischer Soldaten innerhalb von 16 Monaten zu beenden, stehe nicht zur Debatte, schob Obama nach. Es gehe lediglich um die Frage, wie viele Resttruppen im Irak benötigt würden, um die irakischen Streitkräfte und die Polizei auszubilden und das Terrornetz Al Kaida daran zu hindern, in dem Land wieder Fuß zu fassen.
Über die Aufregung, die er verursachte, zeigte sich Obama irritiert. "Aus meiner Sicht bedeutet es keinerlei Veränderung gegenüber früheren Aussagen, wenn ich sage, ich werde meine Politik weiterentwickeln", sagte Obama am Samstag (05.07.2008) während eines Flugs zu einer Wahlkampfveranstaltung. "Das ändert auch nichts an meiner Strategie, dass dieser Krieg beendet werden muss und dass ich ihn als Präsident beenden werde." Zuvor hatte Obama bereits versprochen, am ersten Tag seiner Amtszeit den Generalstab zusammenzurufen und ihm den Auftrag zu erteilen, "diesen Krieg zu beenden, verantwortlich und wohlüberlegt, aber entscheidend".
Vorwürfe an McCain
Dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain warf Obama vor, dieser habe ihm eine Änderung seiner Irak-Politik unterstellt. In Umfragen stimmen deutlich mehr Amerikaner dem Plan von McCain zu, den Truppenabzug mindestens bis 2013 zu strecken und vorher eine stabile demokratische Regierung in Bagdad sicherzustellen.
Auch auf dem Feld der Bürgerrechte hat Obama inzwischen Probleme: Eine Gruppe von mehr als 16.000 Unterstützern äußerte auf Obamas eigener Webseite Unmut darüber, dass ihr Kandidat ein Kompromiss-Abhörgesetz billigt, das einst an illegalen Schnüffelaktionen beteiligten Telefongesellschaft Immunität einräumt. Eine solche Garantie hatte Obama vordem abgelehnt.
Kalte Dusche statt Nestwärme
Dass er applaudierte, als das Oberste Gericht kürzlich den US-Bürgern ein Recht auf Waffenbesitz bescheinigte, dass er die Absage an die Todesstrafe für Kinderschänder kritisierte, kam bei vielen Anhängern ebenfalls nicht gut an. Die erste kalte Dusche für die Fans nach all dem Schwärmen und Schwelgen im Vorwahlsieg war die Kehrtwende des Senators bei der Wahlkampf-Finanzierung gewesen: Entgegen früheren Erklärungen will Obama sich ganz auf den - für ihn weitaus lukrativeren - privaten Spendenfluss stützen statt auf öffentliche Gelder, was die Wahlkampfausgaben drastisch begrenzt hätte.
Bisher sind es zumeist noch leise Zweifel in Obamas Gefolgschaft, es ist noch keine Welle der Enttäuschung - aber es könnte eine werden, räumen auch demokratische Wahlkampfberater ein. Das republikanische Lager nimmt in jedem Fall Witterung auf: Obama als Flip-Flopper - ein idealer Wahlkampfslogan für John McCain, der bereits jetzt bei jeder Gelegenheit auf diesem Thema herumreitet und alles tun dürfte, damit der Vorwurf auch haften bleibt.
"Sein Ton hat sich verschoben"
Politischer Opportunismus, eine Wischi-Waschi-Politik, waren vor vier Jahren auch dem Demokraten John Kerry angelastet worden. Er verlor. Auch die US-Medien darin einig: Der Senator ist seit seinem Vorwahlsieg in Richtung Mitte gerückt, "sein Ton hat sich verschoben", wie die "Washington Post" es formuliert.
Wahlkampfexperten weisen zwar darauf hin, dass sich Kandidaten üblicherweise mäßigten, wenn der Vorwahlkampf zu Ende und die Basis zufrieden gestellt sei. Danach gehe es darum, die Anziehungskraft auf andere Wählerschichten auszuweiten, "und das erfordert ein Abschleifen extremer Positionen", meint zum Beispiel der CNN-Experte Bill Schneider. Aber dieselben Experten sind auch überzeugt davon, dass im Fall Obamas andere Standards gelten, "weil er selbst so stark betont, dass er anders ist", wie Schneider sagt.
Reise nach Europa
Gegen den Vorwurf der Unerfahrenheit will der 46-Jährige nun auf außenpolitischem Feld punkten: Obama reist nach Frankreich, Großbritannien, Jordanien, Israel und Deutschland. Dort soll voraussichtlich sein einziger öffentlicher Auftritt in Europa stattfinden: Am Brandenburger Tor könnte Obama eine Rede halten. Auch das ist gefährlich: Der letzte demokratische Bewerber, John Kerry, war 2004 auch durch seine Europa-Reise in Ungnade gefallen – man nahm ihn schlicht als "zu europäisch" wahr.
In Deutschland dürfte Obama frenetisch bejubelt werden: Fast drei Viertel der Deutschen wünschen sich einer Umfrage zufolge Barack Obama als neuen US-Präsidenten. In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die "Bild am Sonntag" plädierten 72 Prozent der Befragten für den Demokraten. Nur 11 Prozent bevorzugten seinen republikanischen Kontrahenten John McCain. Doch Obama ist zuversichtlich, dass er auch die aufkeimenden Zweifel seiner Landsleute zerstreuen kann. Zu der Aufregung um seine Irak-Äußerungen sagte er: "Ich habe immer versucht, aus Fehlern zu lernen und mich zu verbessern. Es gibt auch bei Präsidentschaftskandidaten eine Lernkurve." (stu)