Obama und Merkel - ein spätes Paar
15. November 2016Die Deutschen jubelten, als Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde. Doch Angela Merkel hatte ihn bereits brüskiert, als er noch Wahlkämpfer war: Sie verweigerte ihm im Sommer 2008 die Kulisse des Brandenburger Tors für eine Rede. Der damalige Präsidentschaftskandidat der Demokraten musste auf den Platz vor der Siegessäule ausweichen, wo ihn rund 200.000 Menschen wie einen zweiten Kennedy und als Erlöser von der zu Ende gehenden Ära Bush feierten. Bush hatte mit dem Irak-Krieg einen Keil zwischen die USA und einen Teil der Europäer getrieben. Deutschland, damals unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder, war strikt gegen den Krieg. Merkel allerdings hatte sich als Oppositionsführerin auf die Seite Bushs gestellt.
2009, im ersten Jahr seiner Amtszeit, machte Obama trotz zweier Deutschland-Besuche einen Bogen um Berlin. Es wurde als Affront gewertet. Auch später blieb es kühl zwischen Merkel und Obama. Das hatte handfeste politische Gründe, vor allem die deutsche Enthaltung bei der UN-Entscheidung zu einem Militäreinsatz in Libyen im Jahr 2011.
"Wir hatten unter Obama massive Probleme"
Aber nicht nur deshalb. Josef Braml, USA-Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, warnt davor, die transatlantischen Beziehungen unter Obama nachträglich zu verklären: "Wir hatten unter ihm massive Probleme, weil innere Probleme Obama genötigt haben, Lasten auf uns abzuwälzen, in der Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik, was uns überhaupt nicht geschmeckt hat."
Trotz - oder gerade wegen - der Auseinandersetzungen verlieh Obama der Kanzlerin im selben Jahr 2011 die "Freiheitsmedaille", die höchste Ehrung, die einem Ausländer zuteil werden kann. War es eine Versöhnungsgeste, eine Aufforderung, mehr Verantwortung zu übernehmen? Beobachter zogen damals beide Schlüsse.
Obama bekam 2013 doch noch seine Berliner Bühne am Brandenburger Tor. Er und Merkel legten sich die Hände auf die Schultern und demonstrierten Einigkeit. Doch die Irritationen nahmen wieder zu, vor allem, als der Umfang amerikanischer Ausspähungen des Geheimdienstes NSA bekannt wurde. Im Oktober desselben Jahres kam heraus, dass die NSA sogar das Handy der Kanzlerin abgehört hatte. Merkel war außer sich und sagte einen Satz, der zu einem ihrer bekanntesten überhaupt werden sollte: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Größere politische Konsequenzen bleiben aber aus.
Merkel ist dem einen Vorbild, dem anderen abschreckendes Beispiel
Je länger Merkel und Obama jeweils regierten, desto näher schienen sie sich politisch und persönlich zu kommen. Peter Beyer, Transatlantiker in Merkels CDU, glaubt, Obama schätzte an Merkel vor allem "Pragmatismus, Verlässlichkeit und Professionalität". Und: "Er brauchte sie." Mit dem gewachsenen politischen und wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands sei er an der Kanzlerin gar nicht vorbeigekommen.
Der G7-Gipfel im Sommer 2015 im Schloss Elmau in Bayern brachte das vielleicht denkwürdigste Foto der beiden, wie Obama mit ausgebreiteten Armen auf einer Bank sitzt und Merkel vor der Alpenkulisse ihm gestenreich etwas zu erklären scheint.
Verstehen sie sich persönlich? 'Passen sie zusammen'? Peter Beyer findet: "Sie sind unterschiedliche Charaktere." Aber das schade überhaupt nicht. "Obama ist ein begnadeter Redner, er geht auf die Menschen zu. Merkel sagt mit nur wenigen Worten das Notwendigste, sie ist keine große Rednerin, sie reißt die Menschen nicht zu Begeisterungsstürmen hin." Doch beide schätzten sich, weil sie sich ergänzten.
Wenige Wochen nach dem G7-Gipfel öffnete Merkel die Grenzen für Flüchtlinge. Der dramatische Schritt, der sie bald danach von vielen Deutschen entfremdete, wurde von Obama in den höchsten Tönen gelobt: Merkel habe "überzeugend daran erinnert, dass wir uns nicht abwenden dürfen, wenn unsere Mitmenschen vor uns stehen".
Josef Braml hält allerdings die Rolle der USA beim Thema Flüchtlinge für zweifelhaft und Obamas Merkel-Lob für heuchlerisch: "Amerika hat die Staatenwelt des Nahen und Mittleren Ostens zerstört: Mit dem Irak-Krieg wurde eine ganze Region destabilisiert, damit konnte sich ISIS (der sogenannte Islamische Staat, d. Red.) ausbreiten und damit auch Flüchtlinge zu uns spülen. Obama hat sich einen schmalen Fuß gemacht. Vielleicht hätte er nächstes Jahr 20.000 Flüchtlinge aufgenommen. Partnerschaft sieht anders aus."
Donald Trump jedenfalls hat Hillary Clinton im Wahlkampf zu "Amerikas Angela Merkel" erklärt. Clinton wolle Merkels "verrückte" Grenzöffnung für Hunderttausende Muslime auch in den USA durchsetzen. Merkels Flüchtlingspolitik polarisiert nach wie vor diesseits und jenseits des Atlantiks.
Berater in der Übergangsphase
Mit der Wahl von Donald Trump scheinen sich auf entscheidenden Politikfeldern die USA von einem Verbündeten zu einem Gegner Deutschlands zu wandeln: Freihandel, Klimaschutz, die Haltung gegenüber russischer Aggression oder der Umgang mit syrischen Flüchtlingen.
Doch Josef Braml warnt vor Hysterie und davor, die Beziehungen zwischen Staaten auf zwei Personen zu reduzieren: "Es ist ein Medienklischee: Obama ist jetzt wieder gut und Trump total schlecht. Mit Klischees und dem Personalisieren kommt man nicht weiter. Ich halte das sogar für gefährlich."
Obama tritt bald ab. Was also soll der Besuch? Trump habe bei ihrem Zweiertreffen vor wenigen Tagen im Weißen Haus großes Interesse gezeigt, die wichtigsten strategischen Beziehungen, auch innerhalb der NATO, aufrechtzuerhalten, sagte Obama kurz vor seiner Abreise. Und er, Obama, habe Trump geraten, dem "Drang" zum Isolationismus zu widerstehen.
Der CDU-Politiker Peter Beyer hält das Treffen von Obama und Merkel für sehr wichtig, es sei weit mehr als eine "Farewell-Tour". Wegen der Auswirkungen der Wahl von Donald Trump auf andere Länder spüre Obama: "Er hat noch eine Verantwortung für sein Land und für die Partner." Statt sich schmollend jetzt schon zurückzuziehen, werde Obama "ein wichtiger Berater von Trump in der Übergangsphase sein".