Turnerin Seitz hofft auf Bekleidungsrevolution
2. Mai 2021Kunstturnerinnen müssen sich seit Jahren mit dem Tragen von Trikots abfinden. Alle, die bei internationalen Wettkämpfen nicht aus religiösen Gründen ihren ganzen Körper bedecken mussten, trugen Outfits, die die Beine zeigten und an anderen Stellen eng anlagen.
Doch dann entschieden sich drei deutsche Turnerinnen bei den Europameisterschaften vergangene Woche für einen Ganzkörperanzug, den "Unitard" - um ein Zeichen gegen die "Sexualisierung im Turnen" zu setzen, wie es der nationale Verband formulierte.
Elisabeth Seitz, eine der drei Turnerinnen, sagte DW-Interview, sie hoffe, dass mehr Sportlerinnen in allen Sportarten ihrem Beispiel folgen und sich bei den Olympischen Spielen in Tokio im Juli und August bedecken werden.
"Ich würde gerne mehr Turnerinnen sehen, die den sogenannten "Unitard" tragen. Aber nicht nur im Turnen, ich möchte, dass jede Frau in jeder Sportart die Möglichkeit hat, selbst zu entscheiden, was sie tragen möchte", sagte Seitz, die bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016 antrat und bei den Weltmeisterschaften 2018 am Stufenbarren Bronze gewann.
"[Die Dachverbände] sollten allen Athleten sagen, dass sie selbst entscheiden können, was sie tragen wollen, solange es in ihren Sportarten möglich ist."
Die Olympischen Spiele in Tokio, die durch die Coronavirus-Pandemie um ein Jahr verschoben wurden, brauchen gute Öffentlichkeitsarbeit, wenn es um die Rechte der Frauen geht. Denn der letzte Sexismus-Skandal führte dazu, dass der Organisationschef der Olympischen Spiele, Yoshiro Mori, zurücktrat und durch Seiko Hashimoto ersetzt wurde.
Freie Wahl des Turnanzuges
Es gibt nichts in den Regeln des Turnens, was Frauen daran hindert, Ganzkörper-Outfits zu tragen, doch der Leotard - ein hautenger einteiliger Turnanzug mit nackten Beinen, hat sich in den letzten Jahren beim Kunstturnen etabliert. "Die Möglichkeit, Unitards (Turnanzug mit langen Armen und Beinen, Anm. d. Redaktion) bei Wettkämpfen zu tragen, ist in den FIG-Regeln seit mehreren Jahren festgelegt", sagte ein Sprecher des internationalen Turnverbandes (FIG) der DW. "In der Rhythmischen Sportgymnastik zum Beispiel sind viele Sportlerinnen daran gewöhnt, Unitards zu tragen. Die FIG freut sich, dass die Athletinnen wissen, dass sie für ihre Wettkämpfe die Kleidung wählen können, in der sie sich am wohlsten fühlen."
Unitards sind also auch in Tokio völlig legal
"Die internationalen Verbände sind dafür verantwortlich, die Regeln für die Ausübung ihrer jeweiligen Sportarten (einschließlich der Kleidung) aufzustellen und durchzusetzen", teilte das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegenüber der DW mit.
Turnerinnen haben schon lange Angst davor, dass ihr Outfit beim Spagat oder bei Sprüngen in bestimmten Disziplinen verrutscht und dass mehr preisgegeben werden könnte, als ihnen lieb ist. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum sich Seitz, Sarah Voss und Kim Bui bei den Europameisterschaften im schweizerischen Basel für das neue Outfit, den Unitard, entschieden haben. "Es geht nicht darum, dass wir allen zeigen wollen, dass man jetzt diesen neuen Anzug tragen muss", sagte Seitz, die für den Wettkampf in Tokio gut gerüstet ist. "Es geht vielmehr darum, das zu Tragen, was man möchte. Ich habe selbst entschieden, was ich tragen möchte, und das sollte jeder tun.
"Die Macht der Wahl"
"Niemand hat vorher versucht, etwas zu ändern. Wir wussten, wenn wir dieses neue Trikot tragen, wird jeder auf uns schauen. Es ist gut, dass jetzt alle darüber diskutieren." Und ihre Aktion hat bereits Anklang gefunden. Die britisch-jamaikanische Turnerin Danusia Francis sagte der BBC, dass der Anzug den Turnerinnen "die Macht der Wahl zurückgibt".
Der erste Test war die Trampolin-Europameisterschaft in Sotschi. "Die Ganzkörper-Trikots sind auch im Trampolin-Turnen erlaubt, und zwar in allen Disziplinen. 'European Gymnastics' unterstützt die Turnerinnen und Turner dabei, ihre eigene Wahl der Trikots zu treffen und sich bei den Wettkämpfen wohl zu fühlen", teilte 'European Gymnastics' gegenüber DW mit.
Schwimmen eine Ausnahme?
Eine olympische Sportart, bei der Ganzkörperanzüge wieder in Frage gestellt wurden, ist Schwimmen. Bei den Weltmeisterschaften 2009 in Rom wurden von allen Teilnehmenden Ganzkörperanzüge getragen.
Doch das hatte nichts mit der Bedeckung von Körperstellen zu tun, sondern mit Schnelligkeit. Die Ganzkörperanzüge erlaubten es den Schwimmenden, sich schneller durchs Wasser zu bewegen. Prompt verbot der Verband sie wieder, weil bei jedem zweiten Rennen Weltrekorde gebrochen wurden. Heute müssen Schwimmerinnen Anzüge tragen, die nicht über die Schultern oder Knie hinausgehen.
Aber wie sieht es mit der Leistung beim Turnen aus? Sind längere Anzüge hilfreich oder hinderlich? "Für mich war es einfach, den Trikotanzug zu wechseln, weil wir im Training oft Strumpfhosen über unseren normalen, traditionellen Trikots tragen, also war es für mich nichts Besonderes", sagte Seitz. "Ich denke, man muss nur ein bisschen mit dem neuen Anzug trainieren und dann ist es völlig in Ordnung."
Adaption: Calle Kops/Thomas Klein