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Angehörige glauben Zschäpe kein Wort

3. Juli 2018

Kurz vor der Urteilsverkündung im NSU-Prozess entschuldigt sich die mutmaßliche Rechtsterroristin bei Opfern und Angehörigen. Ihre eigene Rolle stellt sie weiter so dar wie bei ihrer Aussage im Dezember 2015.

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NSU-Prozess
Bild: AFP/Getty Images/C. Stache

Am 11. Juli 2018 wird es so weit sein: Dann sollen im Strafverfahren gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) die Urteile gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer verkündet werden. Es geht um die Frage, welche Schuld sie an zehn Morden, zwei Bomben-Anschlägen und 15 Raubüberfällen haben. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft ist Zschäpe Mittäterin und soll deshalb bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld lebenslang ins Gefängnis. In diesem Fall hätte sie keine Aussicht auf vorzeitige Entlassung.

Sollte sich der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl dem Plädoyer der Anklage anschließen, käme die 43-Jahre nach Verbüßung der Haft in Sicherungsverwahrung – wegen der Gefahr, rückfällig zu werden. Um dieses Schicksal abzuwenden, macht Zschäpe am Dienstag von der letzten Möglichkeit Gebrauch, nach dem Ende der Beweisaufnahme das Wort an alle Verfahrensbeteiligten zu richten. Sie bittet darum, ein Urteil zu fällen, das "unbelastet von öffentlichem oder politischem Druck" sei.

Infografik NSU-Mordopfer Deutsch

Auf Fragen der Opfer- Angehörigen antwortet Zschäpe nicht 

"Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt, noch getan habe." Mit diesem Satz beendet Zschäpe ihre rund fünf Minuten dauernde Ausführung. So lange hat die Hauptangeklagte in den fünf Jahren und zwei Monaten des NSU-Prozesses niemals persönlich gesprochen. Ihre im Dezember 2015 gemachte Aussage ließ sie von ihren Verteidigern Mathias Grasel und Hermann Borchert verlesen.

Damals wie heute lehnte es Zschäpe jedoch ab, auf Fragen der vielen Nebenkläger zu antworten – Verletzte der Bomben-Anschläge in Köln 2001 und 2004, sowie Angehörige der zehn zwischen 2000 und 2007 ermordeten NSU-Opfer. Nur einmal redete die mutmaßliche Rechtsterroristin selbst. Im September 2016 distanzierte sie sich mit wenigen Worten von der rechten Szene. Nun, eine Woche vor der Urteilsverkündung, erinnert sie daran und will es als "klares Zeichen" verstanden wissen, "dass ich mit diesem Kapitel unwiderruflich abgeschlossen habe".

"Sie haben mein aufrichtiges Mitgefühl"

Zschäpe trägt ihre Schlussworte mit fester Stimme vor. Wie am ersten Prozess-Tag trägt sie einen dunklen Blazer, dieses Mal drapiert mit einem Halstuch. Im Unterschied zur frühen Phase der Verhandlung, in der sie sich von den Fotografen und Kamera-Leuten abwandte, lässt sie das Blitzlicht-Gewitter inzwischen ohne erkennbare Regung über sich ergehen. Trotzdem sagt sie: "Die im Prozess gemachten Erfahrungen, sowie die mediale Berichterstattung verunsichern mich bis heute."

Mehmet Daimagüler: "Der Staat hat führende Neonazis geschützt"

Sie habe das Gefühl, jedes Wort, und sei es noch so ernst und ehrlich gemeint, werde ihr "falsch, beziehungsweise mir nachteilig ausgelegt". Sie wolle Verantwortung für die Dinge übernehmen, die sie selbst verschuldet habe, und entschuldige sich für all das Leid, "was ich verursacht habe". Sie bedaure, dass die Angehörigen der Mordopfer einen geliebten Menschen verloren hätten. "Sie haben mein aufrichtiges Mitgefühl."

 

"Mitleidsbekundungen klingen eher beleidigend"

Nebenkläger-Anwalt Carsten Ilius vertritt im NSU-Prozess die Witwe des NSU-Opfers Mehmet Kubaşik. Zschäpes Reue hält er für gespielt. "Nichts Neues" habe sie gebracht, sagt Ilius im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Art ihres Vortrags sei "genau das Gegenteil des Inhalts ihrer Aussage" gewesen. Sie habe bestätigt, was die Verhandlung ergeben habe: "dass sie eine extrem autonome, selbstständige, mit Selbstvertrauen ausgestattete Person ist". Die Mitleidsbekundungen den Angehörigen gegenüber klängen "weiterhin eher beleidigend, als in irgendeiner Weise ernstzunehmend".  

Carsten Ilius Anwalt von Elif Kubasik Nebenklägerin im NSU-Prozess
Carsten Ilius: "Mitleidsbekundungen eher beleidigend"Bild: privat

Ilius und seine Mandantin denken dabei vor allem an Zschäpes Behauptung, immer erst im Nachhinein von den Morden erfahren zu haben, die mutmaßlich von ihren Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen wurden. Sie habe keinerlei Kenntnisse darüber, "warum gerade diese Menschen" ausgewählt worden seien, sagt Zschäpe in ihrer letzten Stellungnahme. "Hätte ich weitere Kenntnisse, würde ich sie spätestens jetzt hier preisgeben" – da es für sie keinerlei Grund mehr gebe, "irgendetwas zu verschweigen".

Anwalt Behnke hält Zschäpes Worte für "nachvollziehbar"

Es gibt nur wenige, die Zschäpe überhaupt etwas glauben. Bernd Behnke ist einer von ihnen. Der Anwalt vertritt einen Bruder des NSU-Opfers Mehmet Turgut. Ob man der Hauptangeklagten, insbesondere der Entschuldigung Glauben schenken solle, müsse das Gericht entscheiden. "Ich selbst bin der Auffassung, dass sie das durchaus nachvollziehbar dargestellt hat", sagt Behnke gegenüber der DW. Es werde sie letztendlich aber nicht entlasten können, vermutet Behnke.  

NSU Prozess 30.09.2013 München Ayse Yozgat
Ayse Yozgat: "Können Sie überhaupt ruhig schlafen?"Bild: picture-alliance/dpa

Zschäpe geht dann noch auf einen besonders emotionalen Moment während des langen Prozesses ein. Die Mutter des NSU-Opfers Halit Yozgat hatte dabei gefragt, ob Zschäpe überhaupt noch ruhig schlafen könne. Eine Antwort blieb sie schuldig – kurz vor der Urteilsverkündung äußert sie sich nun doch: Auch wenn die Bundesanwaltschaft, Nebenkläger-Anwälte und Medien ihr genau das absprächen – "ich bin ein mitfühlender Mensch und habe sehr wohl den Schmerz, die Verzweiflung und die Wut der Angehörigen sehen und spüren können".

"Nationalsozialistisch, antisemitisch, rassistisch"

All dies habe sie selbstverständlich betroffen gemacht und belaste sie bis heute sehr. "Die Tatsache, dass ich für Sie alle hier im Saal nicht die gewünschte Reaktion darauf gezeigt habe, heißt nicht, dass ich nicht erschüttert und entsetzt bin." Wirklich? Nebenkläger-Anwalt Mehmet Daimagüler, der die Geschwister des NSU-Opfers Abdurrahim Özüdogru vertritt, kann bei Zschäpe keinen Sinneswandel erkennen. Sie habe nationalsozialistisch, antisemitisch und rassistisch gedacht.

Ihre Art zu beschwichtigen, sich klein zu machen und die eigene Rolle zu relativieren, ziehe sich durch den gesamten Prozess. Und wenn sie meine, im Laufe des Prozesses dazugelernt zu haben, dann könne er nur sagen: "Man hat es nach außen nicht erkannt." Er und seine Mandanten hätten von Zschäpe erwartet, dass sie reinen Tisch mache. "Und das hat sie nicht gemacht."