Opposition beklagt Manipulationen
16. Dezember 2012Der erbitterte Richtungsstreit zwischen Islamisten und Opposition um die Zukunft Ägyptens hat die Wähler in Scharen in die Wahllokale gelockt. Rund 26 Millionen Bürger waren am Samstag in der ersten Runde aufgerufen, in zehn Provinzen über den umstrittenen Entwurf der ersten Verfassung seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Husni Mubarak vor knapp zwei Jahren abzustimmen. Der Entwurf sieht deutlich mehr Einfluss von Religionsgelehrten auf das Gemeinwesen vor. In den übrigen 17 Provinzen wird am nächsten Samstag abgestimmt. Ergebnisse sollen am nächsten Wochenende bekannt gegeben werden.
Die Muslimbruderschaft teilte über Twitter mit, knapp 57 Prozent der Wähler hätten dem Verfassungstext zugestimmt 43 Prozent hätten dagegen votiert. Die Wahlbeteiligung habe bei 32 Prozent gelegen. Mehrere Medien berichteten, in der Hauptstadt Kairo habe eine Mehrheit mit Nein gestimmt. Die Opposition widersprach der Darstellung der Muslimbrüder umgehend und berichtete von vorläufigen Ergebnissen, wonach 66 Prozent den Entwurf abgelehnt hätten.
Heilsfront spricht von Manipulation
Begleitet wurde die Abstimmung von Manipulationsvorwürfen. Das Oppositionsbündnis Nationale Heilsfront sprach von unversiegelten Wahlurnen mit Stimmzetteln und weit verbreiteter Beeinflussung der Wähler. "Das Ausmaß der Manipulationen zeigt den klaren Willen der Muslimbrüder, den Willen der Wähler zu verfälschen, um die Verfassung der Bruderschaft durchzubringen", erklärte die Heilsfront, in der die wichtigsten liberalen und säkularen Oppositionsparteien zusammengeschlossen sind.
Den Oppositionsangaben zufolge riefen Muslimbrüder in einigen Wahllokalen auf, mit Ja zu stimmen. Zudem hätten sie Zucker, Öl und Tee an die Wähler verteilt. In allen zehn Provinzen, in denen am Samstag abgestimmt wurde, habe es ähnliche Unregelmäßigkeiten gegeben, erklärte das Bündnis. Die Heilsfront rief dazu auf, mit Nein zu stimmen. Von einem zuvor angedrohten Boykott sah das Parteienbündnis ab.
Wahlbeteiligung über 50 Prozent
Wegen des großen Andrangs blieben die Wahllokale vier Stunden länger als zunächst geplant geöffnet. Um Zusammenstöße zwischen Islamisten und Oppositionellen zu vermeiden, sicherte nach offiziellen Angaben ein Großaufgebot von 300.000 Sicherheitskräften die Wahllokale ab. Darunter waren 130.000 Polizisten. Nach blutigen Ausschreitungen im Vorfeld des Referendums blieb es am Wahltag deutlich friedlicher: Ägyptischen Medienberichten zufolge wurden landesweit 19 Menschen bei Unruhen und Schlägereien verletzt.
Wird Ägypten zum Gottesstaat?
Der Verfassungsprozess hat das bevölkerungsreichste arabische Land tief gespalten. Die Opposition wirft den Islamisten vor, sie wollten Ägypten in Richtung Gottesstaat lenken. Viele Anhänger von Präsident Mursi wünschen sich genau das und sehen in dem Referendum eine Abstimmung für oder gegen den Islam.
Der Entwurf war von den islamistischen Muslimbrüdern mit Unterstützung der radikalen Salafisten im Eiltempo erarbeitet und durchgeboxt worden. Linke und Liberale sowie die Christen verließen aus Protest das Gremium, in dem der Verfassungsentwurf erarbeitet worden war. Aus ihrer Sicht handelt es sich um eine Verfassung für die Islamisten und nicht das ganze ägyptische Volk.
re/wl/kle (dpa, dapd, rtr, afp)