Peter Hillary: "Mein Vater hätte geseufzt"
19. Juli 2019Sir Edmund Hillary starb im Januar 2008 im Alter von 88 Jahren in seiner Heimatstadt Auckland. Am 29. Mai 1953 hatte der Imker aus Neuseeland Geschichte geschrieben: Zusammen mit dem Sherpa Tenzing Norgay gelang Hillary die Erstbesteigung des Mount Everest, des höchsten Bergs der Erde. Hillary hatte mit seiner ersten Frau Louise drei Kinder: Peter, Sarah und Belinda. Louise und Belinda starben 1975 bei einem Flugzeugabsturz in Nepal. 1989 heiratete Hillary seine zweite Frau June. Anlässlich seines 100. Geburtstags am 20. Juli sprach Sohn Peter mit der DW über seinen Vater.
DW: Ihr Vater wäre an diesem Samstag (20. Juli) 100 Jahre alt geworden. Die ganze Welt kennt ihn als den Erstbesteiger des Mount Everest. Was für eine Art Vater war er?
Peter Hillary: Ich hatte unglaubliches Glück, denn er war ein Vater, der uns in seine Aktivitäten mit einbezog. Vor den Schulferien haben wir als Kinder immer darüber gescherzt, dass wir nie wussten, wo wir am Ende landen würden. Es konnten die Wüsten Australiens sein oder der Aufbau einer Schule oder eines Krankenhauses in Nepal. Oder auch Klettern oder Skifahren auf der Südinsel Neuseelands. So hat er seine Familie wirklich in viele seiner Aktivitäten einbezogen. Das war ein Privileg. Und wir haben alle davon profitiert.
Ich schätze, er war typisch für einen Vater seiner Generation. Er wurde 1919 geboren, sein eigener Vater kam noch aus dem 19. Jahrhundert. Mein Vater hat seinen Erziehungsstil über die Zeit ganz erheblich verändert. Ich denke, er hat sich wirklich durch die Zeiten bewegt.
Immer wieder musste er erzählen, wie er mit Tenzing Norgay den Gipfel des Everest erreichte. Hat er sich eigentlich bei seiner Familie darüber beschwert, dass die Menschen ihn auf die Rolle des Everest-Erstbesteigers reduziert haben?
Er wusste, dass es ein unglaubliches Privileg war, überhaupt an dieser Expedition teilzunehmen und dann auch noch die Chance zu erhalten, die Erstbesteigung zu machen. Ihm war auch klar, dass ihm das die Türen geöffnet hat. Zum Beispiel half es ihm dabei, alle diese Schulen und Krankenhäuser in Nepal zu bauen und auch weitere Expeditionen in den Himalaya oder in die Antarktis zu organisieren. Er erkannte, dass es Teil seiner Rolle war. Ich habe viele andere Menschen kennengelernt, die dies eher als Eingriff in die Privatsphäre ansahen. Ich war zum Beispiel mit meinem Vater und Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond, am Nordpol. Neil war ein eher in sich gekehrter Typ, der einfach nicht darüber reden wollte.
Wenn man sich schlecht fühlt, mit anderen Menschen über etwas zu reden, fühlt sich auch die Person schlecht, die mit einem darüber sprechen will. Mein Vater dagegen wollte sich immer nur nett mit den Menschen unterhalten, er hat Bücher signiert, Fotos mit den Leuten gemacht und zugehört, wenn sie ihre eigenen Berggeschichten erzählt haben. Er ging sehr großzügig mit seiner Zeit um.
Wie war seine Beziehung zu Tenzing Norgay?
Sie waren sehr gute Freunde. Tenzing und seine Frau Dakku kamen mehrmals nach Neuseeland, um uns zu besuchen und gemeinsam mit uns in die Berge zu gehen. Ich traf Tenzing zum ersten Mal 1962, als wir ihn in Darjeeling besuchten. Wir hatten dort ein paar wunderbare Tage mit Tenzing und seinen kleinen Kindern sowie Mitgliedern des Himalayan Mountaineering Institute, wo Tenzing viele, viele Jahre arbeitete. Mein Vater und Tenzing hatten ein sehr gutes Verhältnis. Sie arbeiteten ja auch in ähnlichen Bereichen und versuchten beide, den Menschen im Himalaya etwas zurückzugeben. Das war sicherlich das Wichtigste, das mein Vater tat. Aber sie arbeiteten auch beide im Bergtourismus. So kreuzten sich ihre Wege ziemlich oft.
Mit seiner Stiftung "Himalayan Trust" hat Ihr Vater viel für die Sherpas im Himalaya getan. Wie wichtig war ihm diese Wohltätigkeitsarbeit?
Mehrere Jahrzehnte lang erklärte er immer wieder, dass es sich dabei um sein Lebenswerk handele. Er liebte seine Expeditionen und war sehr zufrieden über die Erstbesteigung des Mount Everest. Doch letztendlich war die Arbeit mit den Menschen in den Bergen Nepals für ihn wirklich sein wichtigster Beitrag.
Ist es schwierig, diese Arbeit ohne ihn fortzusetzen?
Wir machen weiter. Dad war fantastisch darin, mit Menschen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Es gibt Stiftungen in Deutschland, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Amerika und Kanada. Hinter ihnen steht eine Gruppe leidenschaftlicher Menschen. Und die Wahrheit ist: Das Vermächtnis meines Vaters lebt bei uns allen weiter. Er ist ein wichtiger Teil davon, warum diese Organisationen funktionieren. Und er hilft ihnen weiterhin, allein schon durch die Tatsache, dass sein Name da ist und er zu Lebzeiten ein wichtiger Teil dieser Organisationen war.
Was würde er wohl sagen, wenn er sähe, was heute im Everest vor sich geht?
Schon vor 15, 20 Jahren war er schrecklich verärgert über einige der Verhaltensweisen auf dem Berg. Es gab Berichte, dass einige Bergsteiger im Anstieg einen in Not geratenen Kletterer, der ganz offensichtlich höhenkrank war, passiert hatten, ohne ihm zu helfen. Das fand mein Vater ganz schrecklich.
Auf der anderen Seite hat er die Menschen, insbesondere die jungen Menschen dazu ermutigt, nach draußen zu gehen. In die Berge, dort wunderbare Erfahrungen zu machen, sich selbst herauszufordern und tolle Abenteuer zu erleben. Und es ist in vielerlei Hinsicht eine wunderbare Sache, den Mount Everest oder andere Gipfel im Himalaya zu besuchen. Doch Nepal ist ein sehr armes Land. Der Abenteuertourismus in Europa - Skifahren, Wandern, Klettern, Rundflüge - ist eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie. Ich finde es deshalb unangebracht, wenn einige Westler Nepal raten: "Schließt den Everest! Niemand sollte mehr dorthin gehen!" Ich denke, wir sollten den Nepalesen dabei helfen, ihren Tourismus besser zu betreiben. Und sie befassen sich ja durchaus schon mit den Umweltproblemen oder auch mit der Anzahl der Bergtouristen, die sie ins Land lassen.
Aber wie hätte er sich wohl gefühlt, wenn er im vergangenen Frühjahr das Bild der Menschenschlange auf dem Gipfelgrat des Everest gesehen hätte?
Das war ein beunruhigendes Bild, ohne Zweifel. Und ich bin sicher, er hätte es sich angesehen und einfach nur geseufzt: "Was um alles in der Welt ist hier los?" Man hatte versucht, die große Anzahl von Gipfelkandidaten auf verschiedene Tage zu verteilen. Doch am Tag vor der Aufnahme des Fotos war das Wetter schlecht, und die Bergsteiger, die eigentlich aufsteigen wollten, konnten es nicht. So ergab sich eine doppelte Anzahl von Menschen, die sich an jenem Tag auf den Weg nach oben machten. Das hat sicherlich zu dem Stau beigetragen.
Es scheint, dass das Everest-Gen fest in Ihrer Familie verankert ist. Sie selbst haben den Everest zweimal bestiegen, und auch Ihre Kinder streben dies an.
Es ist möglich, dass mein jüngster Sohn und ich im nächsten Jahr auf eine Filmexpedition zum Mount Everest gehen werden. Wir sind gerade dabei, die Vorbereitungen abzuschließen. Es ist noch nicht ganz fix, aber ziemlich wahrscheinlich. Ob ich zum Gipfel aufsteige, weiß ich nicht. Aber mein Sohn Alexander ist sehr daran interessiert. Dann hätte die dritte Generation von Hillarys den Mount Everest bestiegen.
Und das hätte Ihrem Vater gefallen, oder?
Ich denke, er wäre ziemlich begeistert von dem Gedanken gewesen, dass sein Enkel auf dem Gipfel dieses Berges stehen würde. Wir treten in seine Fußstapfen. Und wir sind stolz darauf.
Peter Hillary ist das älteste von Edmund Hillarys drei Kindern. Der 64-Jährige ist selbst ein Abenteurer, der mehr als 40 Expeditionen hinter sich hat. So bestieg er zweimal den Mount Everest (1990 und 2003) und komplettierte 2008 seine Sammlung der "Seven Summits", der höchsten Berge aller Kontinente.
Das Interview führte Stefan Nestler.