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GesellschaftPhilippinen

Philippinen: Pflegenotstand wegen Abwerbung durch Europa?

David Hutt
12. August 2023

Europa wirbt Pflegefachkräfte von den Philippinen ab, bevor diese überhaupt ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Doch auch dort fehlen Pflegekräfte. Sollte die EU die Philippinen dafür entschädigen?

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Pflegekraft aus den Philippinen am Krankenbett einer alten Dame
Deutschland benötigt zahlreiche neue PflegekräfteBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Seine Ausbildung zum Krankenpfleger hat Jimmy Carpon Jr. in seinem Heimatland, den Philippinen, abgeschlossen, doch seit fast zehn Jahren arbeitet er in Deutschland. Anfang August wurde er als "Niedersachsens beliebtester Pflegeprofi" ausgezeichnet.

"Ich fühle mich sehr geehrt", sagte er der DW nach der Verleihung, an der auch hochrangige niedersächsische Staatsbeamte teilnahmen. "Diese Anerkennung gilt nicht nur mir, sondern allen Pflegefachkräften, insbesondere unseren Kräften aus dem Ausland, die nach Deutschland gekommen sind und hier bleiben und leben wollen."

Carpons Chancen, im Oktober auch den bundesweiten Wettbewerb für die beliebteste Pflegekraft zu gewinnen, stehen gut. Er ist einer von etwa 6000 Pflegefachkräften aus den Philippinen, die laut Angaben der deutschen Botschaft in Manila im deutschen Gesundheitswesen arbeiten. Wie viele andere auch möchte er den Rest seines Lebens in Deutschland verbringen. "Ich bin jetzt deutscher Staatsbürger", sagt er. "Aber im Grunde meines Herzens bin ich noch immer Filipino."

Die meisten zieht es nach Großbritannien

Im Bundestag wurde kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das Fachkräften die Arbeitssuche in Deutschland erleichtern soll. Für Krankenpflegekräfte und andere qualifizierte Fachkräfte aus den Philippinen eröffnen sich damit neue Möglichkeiten.

Bundestag beschließt neues Einwanderungsrecht

Jerome Babate ist Geschäftsführer des Filipino Nursing Diaspora Network, einem Netzwerk, das philippinische Pflegekräfte im Ausland unterstützt. Er schätzt, dass in Europa mindestens 35.000 Pflegekräfte aus den Philippinen arbeiten. Fast 80 Prozent davon in Großbritannien, das nicht länger zur EU gehört. Und fast alle wollen langfristig bleiben.

Deutschland und Österreich zählen ebenfalls zu den fünf beliebtesten Zielländern für philippinische Krankenpfleger und -pflegerinnen. Zuhause auf den Philippinen sorgt das bereits für Probleme.

Abwerbung schon während der Ausbildung

Im Januar sah sich die deutsche Botschafterin gezwungen, den Vorwurf abzuwehren, europäische Länder würden nicht nur philippinische Pflegefachkräfte abwerben, sondern sogar Fachkräfte, die sich noch in der Ausbildung befinden. Vilma Garcia, Leiterin der Mitarbeitergewerkschaft am De La Salle University Medical Center, hatte den europäischen Ländern vorgehalten, sie würden Krankenhäuser und Kliniken auf den Philippinen mit gutbezahlten Jobangeboten überfluten.

"Andere Länder machen unseren Auszubildenden im zweiten Jahr sehr attraktive Angebote, damit diese ihre Ausbildung dort fortsetzen. Sie sorgen für alles - Unterricht und Unterbringung", klagte sie in einem Interview mit philippinischen Medien. "Wenn sie dann in ihrem Beruf arbeiten, können sie ihre Familien nachholen. Das ist ein großzügiges Angebot, damit können wir nicht konkurrieren."

Wenige Tage später erklärte die damalige deutsche Botschafterin Anke Reiffenstuel bei CNN Philippines, die deutsche Regierung arbeite nur dann "mit anderen Ländern zusammen und rekrutiert aus diesen Arbeitskräfte, wenn das nicht zum Braindrain in diesen Ländern beiträgt".

Personalmangel selbst in erstklassigen Kliniken

Eine Quelle aus dem diplomatischen Dienst bestätigte der DW, dass Deutschland darauf achte, die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus einem Land nicht zu verstärken. Laut der Quelle bilden die Philippinen bereits mehr Pflegefachkräfte und anderes Fachpersonal für das Gesundheitswesen aus, als vor Ort benötigt werden.

Notstand im Altersheim: die Pflegeroboter kommen

Und doch werden auch im philippinischen Gesundheitssystem die Risse immer größer. Die Probleme spitzten sich zu, als die Corona-Pandemie auch die Philippinen erreichte und viele Angestellte im Gesundheitswesen das Land verließen, um im Ausland für bessere Löhne zu besseren Bedingungen zu arbeiten.

Filipino Nurses United, ein landesweiter Arbeitnehmerverband, sprach im vergangenen Monat gar von einer "Krise in der Krankenpflege". "Die Pflegekräfte sind überarbeitet und erschöpft. Sie arbeiten zwei bis vier Stunden mehr als ihre acht Stunden pro Schicht und diese Überstunden sind unbezahlt", klagte der Verband.

Selbst dem angesehenen Philippine General Hospital in Manila fehlen zwischen 400 und 600 Pflegefachkräfte. Schätzungen des philippinischen Gesundheitsministeriums von 2021 zufolge hatten 316.000 examinierte Pflegekräfte, also 51 Prozent der qualifizierten Kräfte, das Land verlassen, um im Ausland zu arbeiten.

Weil in staatlichen Krankenhäusern das Personal fehlte, kündigte das Gesundheitsministerium im Juni an, ausgebildeten Pflegefachkräften, die ihre Prüfungen noch nicht bestanden hatten, befristete Zulassungen zu erteilen. Mit dem Hinweis, dass dies gesetzeswidrig sei, lehnten die Aufsichtsbehörden das jedoch ab. Nun wartet das Gesundheitsministerium auf eine entsprechende Gesetzesänderung im Parlament. Im vergangenen Jahr ging die Regierung davon aus, dass in den Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäusern des Landes 106.000 Pflegefachkräfte fehlten.

"Die Regierung muss den sogenannten Braindrain im Land angehen. Wir brauchen unsere Gesundheitsfachleute hier im Land, um unser Gesundheitswesen zu unterstützen", forderte Maria Rosario Vergeire, Unterstaatssekretärin für Gesundheit.

Finanzierung der Ausbildung durch EU-Länder

Gegenwärtig debattiert die Regierung über Pläne, die Löhne anzuheben oder die Zulassung zur Berufsausübung kurzfristig zu ändern. Doch für eine langfristige Lösung benötigt das medizinische Ausbildungssystem auf den Philippinen mehr internationale finanzielle Unterstützung, sagen Experten.

Pflegekräfte bei der Durchsicht von Patienten-Protokollen
Etwa 6000 Pflegefachkräfte aus den Philippinen arbeiten in DeutschlandBild: Schulte/dpa/picture alliance

"Die europäischen Staaten sollten die Prioritäten für ihre Auslandshilfe neu setzen und mehr in die medizinische Ausbildung auf den Philippinen investieren", meint Babate vom Filipino Nursing Diaspora Network. "Diese Investition würde sowohl dem Ursprungsland nützen als auch dem globalen Gesundheitswesen", ist er überzeugt.

Dem Ministerium für Wanderarbeitnehmer schwebt ein Programm vor, in dem Länder, die Pflegefachkräfte von den Philippinen anwerben wollen, zu einem Fonds beitragen, der Stipendien an Krankenpflegeschüler und -schülerinnen auf den Philippinen vergibt.

Das Konzept ist noch nicht vollständig ausgearbeitet, doch die Sekretärin für Wanderarbeitnehmer, Susan Ople, erklärte vergangenen Monat, das Programm solle "teilweise freiwillig" sein und würde nicht als Bedingung in bilaterale Abkommen über Arbeitskräfte mit anderen Ländern aufgenommen. "Es soll eine Art progressiver Fonds sein, bei dem das soziale Gewissen die Einzahlung vorgibt", sagte sie im Gespräch mit lokalen Medien.

Brüssel und Manila vertiefen ihre Beziehungen

Luc Veron, EU-Botschafter auf den Philippinen, wollte sich zu dieser Idee nicht äußern. Seiner Meinung nach ist das die Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten. Doch der Zeitpunkt könnte günstig sein. Die EU und die Philippinen verhandeln über ein Freihandelsabkommen und diese Gespräche erhielten durch den Besuch der Europäischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihrem Treffen mit Präsident Ferdinand Marcos Jr. neuen Auftrieb.

Ursula von der Leyen und Ferdinand Marcos Jr. im Präsidentenpalast in Manila
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besuchte im Juli die PhilippinenBild: Rolex dela Pena/Reuters

Die Beziehungen zwischen Brüssel und Manila sind im Aufwind, und so ist es wahrscheinlich, dass mehr EU-Gelder ihren Weg auf die Philippinen finden werden, selbst wenn es zu keiner formellen Einigung über Pflegefachkräfte kommt. Eine Quelle aus dem europäischen diplomatischen Dienst machte darauf aufmerksam, dass mehrere europäische Länder, darunter auch Deutschland, das medizinische Ausbildungswesen auf den Philippinen bereits finanziell und anderweitig unterstützen und auch bereit sind, mehr zu tun.

Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.