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Sorgenkind Portugal

Jochen Faget, Lissabon19. Juli 2015

Die Fehler der Vergangenheit sind korrigiert, doch es bleibt ein riesiger Schuldenberg - so sehen die Portugiesen ihre Lage. Das Land ist weiter ein Euro-Wackelkandidat. Von Jochen Faget, Lissabon.

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Portugal Tourismuswerbung - Foto: Jochen Faget/DW
Bald blühende Landschaften? Der Tourismus soll Geld nach Portugal bringenBild: J. Faget

Er hat einen Kredit aufgenommen, sechs Tuc-Tuc-Motorräder gekauft und zehn Arbeitsplätze geschaffen: João Tubal setzt auf Tourismus gegen die Krise. "Es wird so gut wie nichts mehr gebaut, aber Lissabon ist voller Touristen", stellt der junge Mann nüchtern fest. Also fahren er und seine Kollegen eben Urlauber in ihren Dreirad-Rikschas zu den Sehenswürdigkeiten der portugiesischen Hauptstadt - selbstverständlich mit umweltschonendem Elektroantrieb. Das ist Tubal schon seinem eigentlichen Beruf schuldig: Er ist Umweltingenieur. "Das Geschäft läuft gut," freut sich der Jungunternehmer.

In Portugal boomt der Tourismus. Daran verdienen immer mehr Menschen. Low-Cost-Fluglinien und Kreuzfahrtschiffe haben schon im vergangenen Jahr rund 12 Prozent mehr Touristen angelockt. 2015 wird mit einem erneuten Zuwachs gerechnet.

João Tubal - Foto: Jochen Faget/DW
Vom Ingenieur zum Rikscha-Unternehmer: João Tubal profitiert vom Toruismus-BoomBild: J. Faget

Tief greifende Veränderungen

Portugal nach der Krise sei eben nicht Portugal vor der nächsten Krise, stellt João Duque fest. Das Land habe sich verändert, modernisiert, neu erfunden, sagt der Professor von der angesehenen Wirtschaftshochschule ISEG. Auch wenn die Staatsverschuldung nach wie vor sehr hoch sei - Portugal habe sich wirtschaftlich inzwischen entschieden besser aufgestellt. "2013 und 2014 haben wir seit langem erstmals wieder mehr exportiert als importiert." Das sei in den vergangenen hundert Jahren nur während des 2. Weltkriegs gelungen, als Portugal Wolfram für die Waffenproduktion nach Nazi-Deutschland lieferte, erzählt Duque mit süffisantem Lächeln. Doch das Portugal von heute, am Ende der Krise, exportiere nicht nur mehr, es habe auch uralte bürokratische Zöpfe abgeschnitten und eine effiziente Steuerbehörde aufgebaut. Darum klingelten die Staatskassen jetzt süßer als jemals zuvor.

Einer der Männer, der zu der portugiesischen Erfolgsgeschichte beigetragen hat, heißt Henrique Neto. Der inzwischen 79-jährige Geschäftsmann ist unabhängiger Kandidat für die Präsidentenwahlen im kommenden Jahr. Er hat ein kleines Imperium von hochmodernen Spritzgussformenfabriken aufgebaut, das die ganze Welt beliefert und selbst in China produziert. Sein Wirtschaftsbereich ist ebenso für das Export-Wachstum verantwortlich wie die Schuh- und Textilindustrie sowie einem VW-Werk südlich der Hauptstadt Lissabon.

João Duque - Foto: Jochen Faget/DW
Wirtschaftsprofessor João Duque lobt die portugiesischen ReformenBild: J. Faget

Export weiter vorantreiben

Wir haben uns bis jetzt gut geschlagen", sagt Neto, "aber wir müssen noch viel mehr exportieren." Es gebe noch viel Spielraum nach oben. Und die Bedingungen, diesen Spielraum zu nutzen, stünden nicht schlecht, meint er: Einerseits helfe der schwache Euro, andererseits habe Portugal inzwischen gut ausgebildete Arbeitskräfte und Manager. Hinzu kommt, dass Portugal angesichts des bevorstehenden Freihandelsabkommens mit den USA von seiner geografischen Lage profitieren werde. Um die Konjunktur im Land jedoch wieder richtig anzukurbeln, seien europäische Hilfe und ausländische Investitionen nötig, so Neto. Investoren könnten durch die niedrigeren Einkommen und Lohnnebenkosten verstärkt angelockt werden. Auch die von der Europäischen Union mitfinanzierte gute Infrastruktur könnte dazu beitragen.

"Und Wirtschaftsprofessor Duque betont, Portugal habe bewiesen, dass es zu Veränderungen fähig sei. In der Schuhindustrie, die einst schlechte Billigware produzierte, konkurriere Portugal inzwischen mit exklusiven Modemarken aus aller Welt. Bei der Wertschöpfung liege es in diesem Segment nach Italien auf dem zweiten Platz. Ähnliche Expertise habe man bei anderen Produkten aufgebaut, von Textilien bis zum Wein. Das Land sei also auf dem richtigen Weg. Viele längst angeschobenen Veränderungen würden aber erst in einigen Jahren gute Ergebnisse zeigen, sagt Duque.

Horrende Staatsverschuldung

Derweil drückt Portugal weiterhin eine eigentlich unbezahlbare Schuldenlast von rund 130 Prozent des Bruttoinlandprodukts. An der seien die früheren Regierungen des Landes schuld, meint der Unternehmer und Präsidentschaftskandidat Neto. Sie hätten nicht nur die Privatverschuldung zu leicht gemacht, sondern auch wegen der gesunkenen Zinsen nach dem Euro-Beitritt selbst weit über ihre Verhältnisse gelebt. Die EU habe durch Kreditumschichtungen zwar viel erleichtert, meint Wirtschaftsprofessor Duque. Doch wie Portugal diese Schulden in absehbarer Zeit bezahlen soll, weiß er nicht.

Auch der Tuc-Tuc-Unternehmer João Tubal macht sich darüber Gedanken. "Sicher gab es Exzesse in der Vergangenheit und sicher muss man seine Schulden zurück zahlen," sagt er. Wenn das aber nicht mehr gehe, sollten die reicheren Länder der EU solidarisch sein und helfen.

Musterschüler mit Problemen

Wegen seines Schuldenberges bleibt Portugal ein Problemland, obwohl es seine "Hausaufgaben" gemacht hat. "Ganz sicher würden in Portugal wieder die Zinsen steigen, wenn der Euro zum Beispiel wegen Griechenland in schwere Turbulenzen kommt", betont Henrique Neto. Dann wäre Europas Solidarität erneut gefordert.

Henrique Neto - Foto: Jochen Faget/DW
Präsidentschaftskandidat Henrique Neto fordert weitere europäische HilfeBild: J. Faget

Auf die könne Portugal ziemlich sicher zählen, meint João Duque: "Nachdem Herr Schäuble uns so oft als Musterschüler hervorgehoben hat, würde er wohl alles tun, um ein portugiesisches Desaster zu verhindern." Voraussetzung: Portugal müsse sich auch künftig an die Regeln halten und fleißig weitersparen.