Djindjics Ideen leben weiter
11. März 2013Das politische Erbe des vor zehn Jahren ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic prägt das Land immer noch. Er lasse sich ungern mit Djindjic vergleichen, sagt Parteifreund Boris Tadić. Er wurde kurz nach den tödlichen Schüssen in Belgrad serbischer Präsident. Seine eigene Amtszeit sei nur eine Annäherung an Djindjics Visionen von einem modernen und europäischen Serbien gewesen, so Tadić. Es sei eine Binsenwahrheit, dass in der Realpolitik die Visionen meistens unter die Räder geraten. "Es war schwierig, diese Vision zu verwirklichen, denn sie war sehr komplex und setzte voraus, dass Serbien in kurzer Zeit ein Teil der Europäischen Union wird", sagt Tadić. "Vielleicht wäre auch Zoran Djindjic nicht in der Lage, die ideale Vision zu erfüllen."
Das klingt wie die müde Ausrede eines Mannes, der die Grenzen der politischen Machbarkeit erst nach seinem Machtverlust erkannt hat: Er selbst unterlag bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr Tomislav Nikolić. In jüngsten Umfragen stürzte seine Demokratische Partei ab, und laut Medienberichten ist sie heute pleite.
Živković: "Nichts hat sich zum Besseren verändert"
Zoran Živković sieht die heutige Situation in Serbien sehr kritisch. Als Vizeministerpräsident unter Djindjic übernahm er unmittelbar nach dessen Ermordung die Regierungsgeschäfte und führte die junge serbische Demokratie als Interims-Ministerpräsident durch den vierzigtägigen Ausnahmezustand. Er leitete die Polizeiaktion "Der Säbel", in der die Mörder des serbischen Hoffnungsträgers, den man auch den "Kennedy des Balkan" nannte, verhaftet wurden. Sie sitzen heute hinter Gittern, doch über ihre politischen Auftragsgeber herrscht immer noch keine Klarheit.
"Nichts hat sich in Serbien zum Besseren verändert, im Gegenteil", sagt Živković. Das Land sei von den gleichen Problemen geplagt, wie zur Zeit des Attentats auf Djindjic. Dazu seien in den vergangenen sieben bis acht Jahren zusätzliche Probleme gekommen. "Das ist vor allem die Korruption von biblischem Ausmaß, die das Wesen Serbiens wie ein Krebsgeschwür befallen hat." Živković, der gerade die "Neue Partei" gegründet hat, versteht sich als jemand, der mit der alten Politik brechen will. Durch eine schnelle Modernisierung will er Serbien wieder entschiedener auf EU-Kurs bringen.
Alte Akteure tauschten mehrmals die Rollen
Zehn Jahre nach der Ermordung Djindjics ist in Serbien einiges anders - aber vieles auch irgendwie gleich geblieben. Die Akteure von damals tauschten zwischenzeitlich mehrmals ihre Rollen. Zum Beispiel jener Mann, dem Djindjic im Jahr 2000 zum Wahlsieg gegen Milošević verhalft: Vojislav Koštunica gehört heute zu den radikalsten nationalistischen Gegnern eines serbischen EU-Beitritts.
Trotzdem hat sich im Land eine relativ stabile Mehrheit von EU-Befürwortern herausgebildet. Der neue Präsident Tomislav Nikolić, ein einstiger Erzfeind von Djindjic, tut im Großen und Ganzen das, was man in der EU von ihm erwartet und erntet dafür Lob aus Brüssel. Es sieht so aus, als würden die treusten Anhänger des Autokraten Slobodan Miloševićs, die einst Djindjic erbittert bekämpften, nun dessen Vision eines europäischen Serbiens umsetzen. Sind sie paradoxerweise die wahren Erben des überzeugten Europäers Djindjic?
Tadić: "Großartiger Sieg einer Idee"
Der einstige Djindjic-Gefolgsmann Živković ist heute gegenüber der neuen Regierung skeptisch. Ex-Präsident Tadić betrachtet dagegen das heutige Verhalten der ehemaligen politischen Gegner Djindjics als gelungene demokratische Sozialisierung der früheren Antidemokraten. "Wir gerieten in eine absurde Situation: Alle Feinde der Demokratie, Europäisierung, Modernisierung und Aussöhnung aus der 1990er Jahren arbeiten heutzutage brav an der Verwirklichung dieser Projekte. Ich meine, dass dies der großartige Sieg einer Idee ist", so Tadić.
Die Vision eines europäischen und modernen Serbiens, für die Zoran Djindjic seinerzeit keine stabile Mehrheit im Parlament bekommen konnte und die er letztendlich mit seinem Leben bezahlte, scheint auch ohne ihn in der serbischen Realität angekommen zu sein. Es ist zwar keine gerade Linie, aber immerhin eine stetige Vorwärtsbewegung: So ähnlich würde es der in Deutschland ausgebildete Philosoph Zoran Djindjic vielleicht formulieren.