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Präsident der Freiheit

Kay-Alexander Scholz6. Juni 2016

Joachim Gauck kennt beide deutsche Staaten, die untergegangene DDR und das wiedervereinigte Deutschland. Als Bundespräsident war ihm deshalb Freiheit ein hohes Gut. Nun hat er eine weitere Kandidatur abgelehnt.

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Bundespräsident Joachim Gauck in Shanghai (Foto: AFP)
Bild: J. Eisele/AFP/Getty Images

Mit der einen Rede, dem einen Satz oder einem legendären Auftritt wird Joachim Gauck als 11. Bundespräsident wohl nicht in Erinnerung bleiben. Anders als seine Amtsvorgänger Richard von Weizsäcker ("Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung"), Roman Herzog ("Durch Deutschland muss ein Ruck gehen!") oder Walter Scheel (als Sänger des Volkslieds "Hoch auf dem gelben Wagen"). Dafür aber wird sein Lieblingswort "Freiheit" vielen im Gedächtnis bleiben. Dabei sind die Jahre seiner Amtszeit politisch gesehen eher von Zwang und Sicherheitsbestreben denn von Freiheit geprägt.

Euro, Griechenland, Flüchtlinge - eine Krise jagte die nächste. Milliardensummen mussten locker gemacht werden. "Alternativlos" nannte das die Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Die liberale FDP flog nach der Bundestagswahl 2013 sogar aus dem Bundestag. Es ist sicherlich auch ein Verdienst von Gauck, trotz der politischen Zwänge während dieser Zeit, den Wert der Freiheit nicht aus den Augen verloren zu haben.

In diesem Bemühen verleiht ihm seine Biografie große Authentizität. Gaucks erfolgreiches Wirken als Theologe und in der ostdeutschen Bürgerbewegung verstärkten seine Appelle an staatsbürgerliche Werte wie Aufrichtigkeit, Engagement und Einmischung. Zehn Jahre hatte er als Chef der Stasi-Unterlagenbehörde gegen das Vergessen der DDR-Diktatur, unter der auch er und seine Familie zu leiden hatten, gekämpft. Seine Skepsis gegenüber der SED-Nachfolgepartei PDS, später Linkspartei, hielt er nicht verborgen. Kurz vor der Wahl eines Ministerpräsidenten der Linkspartei im Bundesland Thüringen äußerte er Zweifel, ob man der Partei schon vertrauen könne.

Wenig Fassade

Gauck reiste in seiner Amtszeit, die im März 2012 begann, um die ganze Welt und setzte dabei eigene Akzente: Einen Bogen machte er um Russlands Autokraten Wladimir Putin. In der Türkei übte er öffentliche Kritik an der Politik von Recep Tayyip Erdogan: Der damalige türkische Ministerpräsident und heutige Staatspräsdident schränke Meinungs- und Gewaltenfreiheit ein. In China hielt er eine "Freiheitsrede" vor Studenten.

Auch persönlich lebt Gauck eine für das Amt bis dahin ungekannte Freiheit. Er ist der erste parteilose Bundespräsident. Den jetzt 76-Jährigen begleitete zudem keine Ehefrau an seiner Seite, sondern seine Lebensgefährtin Daniela Schadt. Dabei hat er eigentlich noch eine Ehefrau, von der er nicht geschieden ist und mit der ihn vier Kinder verbinden.

Wer Gauck persönlich kennenlernt, erlebt einen manchmal auch eitlen Mann, der mit sich im Reinen und stolz auf seinen Werdegang ist. In einem freien Land leben zu dürfen, ist ihm ein Geschenk. Vor diesem Hintergrund plädierte er immer wieder für mehr Patriotismus in Anlehnung an das Grundgesetz. Er blieb auch im Amt ein fröhlicher Mensch - den Genüssen des Lebens zugewandt und gerne im Gespräch mit anderen. Unverkrampft geht er mit der Medienöffentlichkeit um, als ehemaligem Pastor ist ihm ein gewisses Sendungsbewusstsein nicht fremd.

Grenzen des Amts ausgereizt

Auch als Bundespräsident erlaubte sich Gauck einige Freiheiten und reizte die Grenzen seines Amtes aus. Zwar ist er oberster Repräsentant Deutschlands - politische Wirkung aber kann er nur mittelbar, nämlich über seine Reden erzielen. Zuallererst hat er laut Verfassung eine Integrationsfigur zu sein und muss parteineutral agieren. Er hielt sich nicht daran, als er Politiker der NPD wegen Demonstrationen gegen ein Asylbewerberheim als "Spinner" bezeichnete. Im Ergebnis landete sein Fall vor dem Bundesverfassungsgericht. Doch die Sache ging im Sinne Gaucks aus. Das Gericht entschied, der Bundespräsident habe die Freiheit, über die Ausgestaltung seines Amtes zu entscheiden.

Ein anderer Aufreger ereignete sich Anfang 2014. Deutschland solle seine militärische Zurückhaltung aufgeben und außenpolitisch selbstbewusster auftreten, regte Gauck an. Der Impuls wurde angenommen, eine Debatte entzündete sich, an der sich auch Mitglieder der Bundesregierung beteiligten.

Früher Mahner

Bei einem anderen Thema hat es die deutsche Öffentlichkeit versäumt, die Worte ihres Präsidenten aufzunehmen: Nach seinem Besuch eines Flüchtlingscamps an der türkisch-syrischen Grenze wollte Gauck schon im Juni 2014, also mehr als ein Jahr vor dem "offiziellen Beginn" der Flüchtlingskrise, eine Debatte darüber anstoßen.

Er forderte damals eine "ehrliche, pragmatische und nüchterne Debatte" über die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik. Gauck beschrieb das Dilemma zwischen dem Schutz vor unkontrollierter Einwanderung und den Rechten der Menschen, deren Leben gefährdet sei. Er analysierte: Politik habe sich nie allein am humanitär Gebotenen zu messen, sondern immer auch am politisch Machbaren. Er empfahl einen Mittelweg "zwischen dem Weit-Aufmachen-der-Tore und Forderungen derjenigen, die sagen, die Grenze des Machbaren sei längst erreicht". Zudem sprach sich Gauck für eine gemeinsame europäische Lösung aus. Diesem Kompass ist Gauck auch später treu geblieben. Deutschland wäre wohl so manche spätere verdruckste Debatte erspart geblieben, wären Gaucks Worte damals durchgedrungen.

Nun nahm sich Gauck die Freiheit und entschied sich gegen eine zweite Amtszeit, obwohl es Signale von allen Seiten gab, dass er weitermachen solle. Eine breite Mehrheit der Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, hätte er hinter sich gewusst. Seine Amtszeit endet im Februar 2017.

Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt (M.) beim Besuch eines Flüchtlingscamps in der Türkei (Foto: Jesco Denzel/Bundesregierung via Getty Images)
Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt (M.) beim Besuch eines Flüchtlingscamps in der TürkeiBild: Jesco Denzel/Bundesregierung via Getty Images
Bundespräsident Joachim Gauck (l.) und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schütteln sich die Hände (Foto: Reuters)
Schwieriger Staatsbesuch: Bundespräsident Gauck (l.) beim damaligen türkischen Ministerpräsident ErdoganBild: Reuters