Staatspleite: Wie weiter in Puerto Rico?
11. August 2015Der US-amerikanische Finanzminister Jacob Lew war alles andere als amüsiert als ihm sein deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble Anfang Juli - auf dem Höhepunkt des griechischen Schuldendramas - anbot, "dass wir Puerto Rico in die Euro-Zone aufnehmen könnten, falls die Vereinigten Staaten willens wären, Griechenland in die Dollar-Union aufzunehmen" - und ihn so daran erinnerte, dass, während alle Welt auf Griechenland und die dortige Schuldenkrise blickt, sich in der Karibik ein ähnliches Drama abspielt.
Nach immer wiederkehrenden Mutmaßungen ist es nun amtlich: Puerto Rico ist pleite. Der mit einem Assoziierungsabkommen an die USA gebundene Inselstaat zahlte vergangene Woche fällige Anleihen in Höhe von 58 Millionen US-Dollar nicht fristgerecht zurück. Überwiesen wurden gerade einmal 628.000 US-Dollar. Es ist der erste Zahlungsausfall Puerto Ricos, seit es vor 117 Jahren Teil der USA wurde.
In einer Stellungnahme erklärte Melba Acosta Febo, Präsidentin der Government Development Bank for Puerto Rico (GDB), die das Geld schuldet: "Es war eine Entscheidung, die ernste Bedenken hinsichtlich der Liquidität der Gemeinschaft widerspiegelt. "Insgesamt drücken das kleine Land Schulden in Höhe von 72 Milliarden US-Dollar.
"Es geht um Mathematik"
Überraschend kam der Zahlungsausfall nicht. Gouverneur Alejandro García Padilla hatte bereits Ende Juni in einem Interview mit der Tageszeitung "New York Times" davon gesprochen, dass die Schulden "nicht bezahlbar" seien. "Das Ausmaß der Schulden verhindert, dass wir aus dem Teufelskreis aus Rezession und Schrumpfung ausbrechen. Es geht nicht um Politik, es geht um Mathematik", so García Padilla damals.
Ratingagenturen wie Moody's oder Fitch dagegen werten die Nichtzahlung als Staatspleite und stuften Puerto Ricos Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau. Zugang zu Krediten auf den Kapitalmärkten hatte die Karibikinsel allerdings auch vorher kaum noch. Wegen seines besonderen Status kann sich das Land selbst nicht bankrott erklären - im Gegensatz beispielsweise zur Stadt Detroit, die so ihre Schuldenkrise überwand. Eine entsprechende Gesetzesvorlage steckt derzeit im US-Repräsentantenhaus fest.
Jahrzehnt der Stagnation
Puerto Ricos Schuldendrama begann, als im Jahr 2006 Steuerprivilegien für US-amerikanische Unternehmen ausliefen. Diese kamen, wenn sie sich in Puerto Rico ansiedelten, in den Genuss diverser Vergünstigungen. Als damit Schluss war, verließen zahlreiche Pharmaunternehmen die Insel; andere folgten. Die Industrieproduktion brach ein.
In einer Ende Juni veröffentlichten, breit angelegten Studie beschreiben die angesehenen US-Wirtschaftswissenschaftler Anne Krueger, Ranjit Teja und Andrew Wolfe, wie sich strukturelle Probleme, wirtschaftliche Schocks und schwache öffentliche Finanzen in Puerto Rico zu einem Jahrzehnt der Stagnation verdichteten, dessen Folge Rezession, steigende Schulden und Abwanderung waren. Infolge der Haushaltskrise - Produkt eines überdimensionierten staatlichen Sektors - wuchs die Verschuldung der öffentlichen Hand von 63 Prozent des BIP im Jahr 2000 auf mehr als 100 Prozent in 2015 an.
Finanzpolitische Abhängigkeit
Der faktische Koloniestatus Puerto Ricos trägt - vorsichtig ausgedrückt -nicht gerade zur Lösung der Probleme bei: Ähnlich wie Griechenland als Teil des Euroraums kann die Regierung in San Juan wegen des US-Dollars keine eigene Geldpolitik betreiben. Zudem gelten in Puerto Rico dieselben Arbeitsmarkt- und Sozialstandards wie im Rest der USA. Der in den USA übliche Mindestlohn aber ist überproportional hoch für ein Territorium wie Puerto Rico, das gerade einmal rund die Hälfte des Pro-Kopf-Einkommens von Mississippi, dem ärmsten US-Bundesstaat, aufweist.
Dem stehen hohe Lebenshaltungskosten gegenüber, die zu einem guten Teil mit dem "Merchant Marine Act" aus dem Jahr 1920, auch bekannt als "Jones Act", zusammenhängen. Danach muss jede Ware, die Puerto Rico auf dem Seeweg erreicht oder verlässt, von einem US-Schiff mit US-Besatzung transportiert werden. Dies erhöht die Importkosten. Unter fremder Flagge fahrende Schiffe wiederum zahlen horrende Zölle und Steuern.
Sparpolitik und Auswanderung
Um dem wirtschaftlichen Einbruch zu begegnen, hat die Regierung in San Juan getan, was Gläubiger und Rating-Agenturen forderten: Seit 2010 wurden massenhaft Arbeiter entlassen; die Preise für Wasser, Benzin und Strom erhöht; höhere Steuern auf Eigentum, Veräußerungen und für kleine Unternehmen verabschiedet; die öffentlichen Pensionen und Gesundheitsleistungen beschnitten; das Rentenalter angehoben und Schulen geschlossen. Gebracht hat das alles indes wenig. Vielmehr haben die Maßnahmen in den "Teufelskreis" geführt, von dem Gouverneur García Padilla sprach.
Die Austeritätspolitik hat die wirtschaftliche Aktivität weiter abgewürgt; vor allem junge Leute nutzen die Freizügigkeit und wandern in die USA ab. Beinahe ein Zehntel der Bevölkerung hat im vergangenen Jahrzehnt die Insel verlassen.
Während Washington wiederholt verkündet hat, bei einem Zahlungsausfall nicht in die Bresche zu springen, will die Regierung in San Juan mit den Gläubigern - Pensionskassen und Hedgefonds - verhandeln. Durch die Nichtzahlung übt sie Druck aus, eine Umstrukturierung der Schulden vorzunehmen. Bei einem ungeordneten Zahlungsausfall würden die Gläubiger vermutlich mehr verlieren. Die Regierung Puerto Ricos hat ein Schuldenmoratorium angekündigt - Details sollen ab dem 1. September veröffentlicht werden. Es sieht ganz so aus als wäre dies erst der Auftakt zu jahrelangen Verhandlungen. Griechenland lässt grüßen.