Regierungspartei siegt in Estland
1. März 2015Estlands Wähler haben einen neuen Rekord aufgestellt: fast jeder fünfte von ihnen stimmte per Computer ab - und diese Stimmen waren am schnellsten ausgezählt. Nun bestätigte die Wahlkommission, was sich bei der Auswertung der elektronischen Stimmen bereits abzeichnete: Die wirtschaftsliberale Reformpartei von Regierungschef Taavi Roivas (Artikelbild) hat die Wahl gewonnen. Sie erhielt 30 der 101 Sitze im neuen Parlament, drei weniger als bisher.
Prorussische Opposition auf Platz zwei
Auf dem zweiten Platz landete die linksgerichtete prorussische Zentrumspartei mit 27 Mandaten. Ihr Parteichef Edgar Savisaar war der erste Ministerpräsident nach der estnischen Unabhängigkeit 1991 und ist derzeit Bürgermeister der Hauptstadt Tallinn.
Der 64-Jährige hat vor allem in der russischen Minderheit, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmacht, viele Anhänger. Savisaar steht für engere Anbindungen des Landes an Moskau. Damit will er die Sicherheit Estlands garantieren. Die anderen großen Parteien hatten deshalb im Vorfeld der Abstimmung erklärt, nicht mit ihm koalieren zu wollen.
Keine Mehrheit für die bisherige Koalition
Auf den dritten Platz kommt der bisherige Koalitionspartner von Regierungschef Roivas, die sozialdemokratische Partei. Sie verlor vier Mandate und wird nun mit 15 Sitzen im neuen Parlament vertreten sein. Damit hat die bisherige Mitte-Links-Regierung aus Reformpartei und Sozialdemokraten keine absolute Mehrheit mehr inne. Trotzdem wird allgemein erwartet, dass Roivas von Präsident Toomas Hendrik Ilves erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Die Wahlbeteiligung lag bei 63,7 Prozent.
Jüngster Regierungschef der EU
Roivas hatte sein Amt im März 2014 von Andrus Ansip übernommen, der als EU-Kommissar nach Brüssel wechselte. Roivas ist mit 35 Jahren der jüngste Regierungschef in der Europäischen Union. Mit Rufen nach mehr NATO-Unterstützung für Estland hatte er im Wahlkampf den Nerv vieler westlich orientierter Landsleute getroffen. So drängte er kürzlich bei einem Besuch in den USA auf den Abschluss neuer Rüstungsverträge und forderte: "Die Präsenz der NATO im Baltikum muss aufrecht erhalten und erhöht werden."
Wahlkampfthema Ukraine-Krise
Die Wahl stand unter dem Eindruck der Ukraine-Krise, weshalb die Außen- und Sicherheitspolitik das beherrschende Wahlkampfthema waren. In Estland wie auch in den anderen Baltenstaaten hat das aggressive Vorgehen Russlands in dem Konflikt größte Beunruhigung ausgelöst. Viele Einwohner fürchten weitere territoriale Ansprüche Russlands nach der Annexion der Halbinsel Krim. Estland gehörte wie Lettland und Litauen zur Sowjetunion. Nach deren Zerfall traten die baltischen Staaten im Jahr 2004 sowohl der Europäischen Union als auch der NATO bei.
Das 1,3 Millionen Einwohner zählende Estland ist seit 2011 auch Mitglied der europäischen Währungsunion. Eine Besonderheit der Wahlen war die Abstimmung im Internet, die Estland als erstes Land in Europa eingeführt hat.
cw/haz/kle (afp, dpa, rtr)