1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rennen um libysches Öl und Gas

15. September 2011

Libyen hat riesige Öl- und Gasreserven. Ausländische Konzerne, darunter die deutsche Wintershall, haben hier gefördert. Wer aber profitiert in Zukunft? Auch die Deutschen, meint Ties Tiessen, Vorstand bei Wintershall.

https://p.dw.com/p/12Yp6
Ties Tiessen, Finanzvorstand des Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall, Foto: Uwe Zucchi, dpa
Ties Tiessen: "Die Menschen in Libyen sind herzensgut."Bild: picture alliance/dpa
A Libyan oil worker, works at a refinery inside the Brega oil complex, in Brega east of Libya, on Saturday Feb. 26, 2011. Production at Brega has dropped by almost 90 percent amid the country's crisis because many employees have fled and few ships are coming to offload the product. (AP Photo/Hussein Malla)
Libyen hat großes Interesse, das bald wieder Öl fließt.Bild: AP

Mit der Rebellion gegen den Despoten Gaddafi versiegte Anfang des Jahres auch die stetig sprudelnde Einnahmequelle Libyens. Inzwischen ist Gaddafi auf der Flucht und die Übergangsregierung versucht, neue Strukturen aufzubauen. Ausländische Firmen stehen in den Startlöchern, um die Öl- und Gasförderung wieder aufzunehmen. Vor den Unruhen produzierte das Land rund 1,6 Millionen Barrel Rohöl. Ein Großteil der Exporte, etwa 85 Prozent, gingen nach Europa. Einer der größten Ölproduzenten in Libyen ist die deutsche BASF-Tochter Wintershall. Rund 60 Prozent ihrer weltweiten Ölproduktion fördert Wintershall in Libyen. Ties Tiessen, Finanzvorstand bei Wintershall, hat vier Jahre in Libyen gelebt und die Entwicklungen dort genau verfolgt.

DW-WORLD: Was ist im Laufe der Unruhen mit ihren Produktionsstätten passiert?

Ties Tiessen: Bevor wir unsere internationalen Mitarbeiter evakuiert haben, wurden die Produktionsstätten kontrolliert heruntergefahren und versiegelt - das betrifft die untertägigen Bohrungen. Die Obertageanlagen wurden ordnungsgemäß zurückgefahren und entleert. Wir haben noch lokales Personal vor Ort, 370 Kollegen, teilweise in Tripolis, den Großteil aber in der Wüste bei den Förderanlagen. Die haben dort zwar nicht produziert, aber nach dem Rechten gesehen. Wir waren permanent in Kontakt mit unseren Mitarbeitern und wissen, dass alle unsere Anlagen in funktionsfähigem Zustand sind.

Produktionsanlage der Firma Wintershall nach der Oase Jakhira in der libyschen Wüste, Foto: Wintershall
Zumindest die Anlagen von Wintershall scheinen in gutem Zustand zu sein.Bild: Wintershall

Nach dem Machtwechsel in Libyen hat das vom Bürgerkrieg verwüstete Land seine Ölproduktion wieder angeworfen, das verkündete der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, am vergangenen Wochenende. Allerdings machte er keine genauen Angaben über die Höhe der Produktion, nur dass sie in naher Zukunft steigen werde. Die große Frage ist nun: Wer wird in Zukunft das Öl fördern? Eine nicht so gute Startposition scheinen deutsche Firmen zu haben, nachdem Deutschland den Militäreinsatz in Libyen abgelehnt hatte. Anders geht es französischen Firmen. Ihr Land hat sich nicht nur aktiv am Militäreinsatz beteiligt, es ist auch dafür bekannt, politischen Einfluss geltend zu machen, um den eigenen Unternehmen Märkte zu öffnen. Davon könnte nun der größte Konzern Frankreichs, der Energieproduzent Total profitieren.

DW-WORLD: Haben Sie Sorgen, dass aufgrund des französischen Militäreinsatzes, Total Ihnen Teile vom libyschen Kuchen wegnehmen könnte?

Ties Tiessen: Unsere Verträge resultieren noch aus der Zeit vor Gaddafi. Sie wurden 1966 unter König Idris abgeschlossen und sind immer honoriert worden. Wir führen schon seit langem Gespräche mit der Übergangsregierung, die belegen, dass die Verträge weiterhin gelten werden. Daher gehen wir davon aus, dass wir nach Aufhebung der Sanktionen den rechtlichen Rahmen bekommen, wieder Öl und Gas produzieren zu können - so viel wie vor den Unruhen.

DW-WORLD: Wie lange könnte das dauern?

Ties Tiessen: Wann die Sanktionen aufgehoben werden, können wir natürlich nicht sagen. Aber wir bereiten uns auf den frühesten Zeitpunkt vor. Es würde nach Aufhebung aller Sanktionen einige Wochen dauern, die ersten Bohrförderanlagen wieder in Betrieb zu nehmen. Einige Bohrungen könnten schneller zu einer Förderung führen, weil sie noch unter Eigendruck stehen. Andere werden etwas länger brauchen, weil die Technologie es erfordert.

DW-WORLD: Welchen Stellenwert wird Libyen langfristig für Wintershall haben?

Ties Tiessen: Libyen ist und bleibt integraler Bestandteil unserer Öl- und Gasstrategie. Und wir hoffen, dass wir mittel- und langfristig gesehen unsere Position in Nordafrika einschließlich Libyen noch weiter ausbauen können.

Dr. Ties Tiessen, Vorstandsmitglied der Wintershall am Standort Emlichheim, nahe der deutsch-niederländischen Grenze. Hier fördert Wintershall seit mehr als 60 Jahren Erdöl. Foto: Wintershall Aufnahmedatum: 20.08.2008
Ties Tiessen sagt, es sei eine Art Vaterfigur für die libyschen Mitarbeiter gewesenBild: Wintershall

Ties Tiessen, Finanzvorstand von Wintershall, hat eine besondere Beziehung zu Libyen. Von 2001 bis 2005 war er General Manager der Wintershall Libya in Tripolis. Eine Position, in der er eine Art Vaterfigur für seine Mitarbeiter einnahm. Wenn er von den Libyern erzählt, strahlen seine blauen Augen, und er beschreibt die Menschen dort als herzensgut.

DW-WORLD: Wie haben Sie eigentlich Kontakt aufgenommen zu der Übergangsregierung?

Ties Tiessen: Es gab da verschiedene Kanäle, unter anderem haben wir ganz unprätentiös dem Roten Halbmond geholfen. Wir erinnern uns an die wirklich schlimmen Bilder aus den Krankenhäusern in Bengasi. Unsere Mitarbeiter haben freiwillig gespendet und das Unternehmen Wintershall hat sechsstellige Beträge zur Verfügung gestellt. So sind wir natürlich mit den Leuten ins Gespräch gekommen. Außerdem besteht sowohl die Übergangsregierung als auch die National Oil Corporation der Übergangsregierung aus Personen, die uns kennen und die wir kennen. Von daher gab es in und außerhalb Libyens Gespräche mit uns, und ich gehe davon aus, auch mit anderen Betriebsführern in Libyen.

DW-WORLD: Die Unruhen in Nordafrika haben sich unter anderem an einer hohen Jugendarbeitslosigkeit entfacht. Wie ist die Ausbildungssituation der Arbeitnehmer in Libyen?

Ties Tiessen: Es gibt sehr wenig Analphabeten in Libyen. Die Grundausbildung ist immer gut gewesen. Es gibt verschiedene Universitäten, und es gibt Förderungen für Auslandsstipendien. Vor dem Hintergrund ist es wirklich verwunderlich, wie hoch der Grad der Jugendarbeitslosigkeit in Libyen war. Das ist ein ganz großes Problem. Hier ist, wenn ich mir den Ratschlag erlauben darf, die Übergangsregierung und später die neue Regierung gefordert. Wir als Unternehmen Wintershall haben viele Libyer eingestellt und waren sehr froh, was man mit diesem guten Bildungspotential machen kann.

DW-WORLD: Wo liegt Ihrer Meinung nach das wirtschaftliche Zukunftspotential Libyens?

Ties Tiessen: Libyen ist für die Öl- und Gasversorgung Europas von immenser Bedeutung. Man hofft eben, dass das Geld aus diesem Wirtschaftszweig, anders als in der Vergangenheit, künftig konstruktiver für Land und Leute eingesetzt wird. Ich sehe viele Möglichkeiten für den Tourismus. Ich selber habe ja vier Jahre in Libyen leben dürfen, damals begann es zaghaft mit dem Tourismus. Und Libyen hat immense Möglichkeiten, im Bereich der Landwirtschaft für Afrika einen großen, wichtigen Beitrag zu leisten.

Das Interview führte Insa Wrede
Redaktion: Rolf Wenkel