"Eine Ohrfeige für die Diesel-Kanzlerin"
17. Mai 2018Deutsche Welle: Herr Resch, wie bewerten Sie die Entscheidung, dass jetzt die EU die Bundesregierung wegen zu schmutziger Luft in deutschen Städten verklagt?
Jürgen Resch: Die EU-Kommission hat die Rechtsposition der Deutschen Umwelthilfe bestätigt. Das ist eine schallende Ohrfeige für die Diesel-Kanzlerin Angela Merkel. Gestern widersprach sie noch im Deutschen Bundestag der Forderung, dass man der Autoindustrie die Reparatur der Betrugsfahrzeuge zumuten könne.
Es wird sogar gesagt, dass man die Autoindustrie nicht mit Strafen belasten dürfe und sie in Zukunft weitere Förderung erhalten soll. Ich kann dies nicht verstehen angesichts von 40 Milliarden Euro Gewinn im letzten Jahr und auch angesichts des eingestandenen, betrügerischen Verhaltens unter den Automobilunternehmen über zwei Jahrzehnte.
Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die Bundesregierung versuchte, die Klageerhebung vor dem Europäischen Gerichtshof zu verhindern. Die Kanzlerin intervenierte bei Herrn Juncker persönlich. Das ist nicht aufgegangen.
Die EU-Kommission sagt ganz eindeutig, dass die Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig handelt und zulässt, dass Hunderttausende von Menschen jährlich an Diabetes und an Asthma neu erkranken. Es sind 800.000 vorzeitige Erkrankungen und knapp 13.000 vorzeitige Todesfälle. Das ist nicht akzeptabel.
Die Folge wird sein, dass die Gerichte sich noch schneller und klarer für Diesel-Fahrverbote entscheiden werden. Nächste Woche beginnt in Hamburg das erste Diesel-Fahrverbot und dies betrifft auch Fahrzeuge mit Euro 5.
Wir gehen davon aus, dass auch Euro 6 Fahrzeuge betroffen sein werden, weil zwischenzeitlich dort betrügerische Abschalteinrichtungen festgestellt wurden. Diese Fahrzeuge werden ab diesem Jahr keine Einfahrt mehr in stark belastete Bereiche erleben.
Ich höre aus Ihrer Antwort heraus, dass die Politik trotz EU-Klage weiterhin nichts unternehmen will und Sie weiter in den Städten auf die Einhaltung des Rechts auf saubere Luft Klagen müssen?
Es gibt die politische Vorgabe, nichts zu tun und wir wissen, dass die Beamten im Kraftfahrtbundesamt und auch im Verkehrsministerium mit immer mehr Unverständnis reagieren.
Wir haben bis jetzt kein einziges Verfahren zur Luftreinhaltung in 13 Jahren verloren. Ich kann eigentlich nicht verstehen, wie auch heute die CDU/CSU und Teile der SPD reagieren. Sie sagen: 'Augen zu und durch'. Das ist Vasallentreue zu einer organisierten Kriminalität in Deutschland, die den größten Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte zu verantworten hat und mit der sich trotzdem die Bundesregierung weiter ins Bett legt.
Die Deutsche Umwelthilfe hat ein über Monate geheim gehaltenes Regierungs-Gutachtenveröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die technische Nachrüstung der manipulierten Dieselfahrzeuge mit einem verträglichen Aufwand möglich ist. Warum fällt der Regierung der Ruck zum Handeln so schwer?
Meine These seit vielen Jahren ist, dass die deutsche Politik bei Interessen von bestimmten großen Industrieagglomeraten, der Automobil-Industrie, den Banken, der chemischen Industrie, nicht mehr handlungs- und entscheidungsfähig ist. Ich würde mich freuen, mich zu täuschen, aber ich mache jetzt seit 35 Jahren Umweltpolitik auf Bundesebene.
Heute ist es so, dass sich kein Spitzenpolitiker, kein Regierungspolitiker, selbst kein grüner Ministerpräsident es sich leisten kann, sich mit einem großen internationalen Industriekonzern anzulegen. Dies ist keine Politik mehr vom Volk oder von den gewählten Regierungsvertretern, sondern diese Politik wird in den Konzernzentralen geschrieben und dann durch Kanzleramt und Staatskanzleien angeordnet.
Die gestrige Rede der Bundeskanzlerin ist ein Beispiel dafür. Während Frankreich seiner Industrie mehr als 18 Milliarden Euro Strafe aufbrummt und die EU von Deutschland Strafzahlungen gegen die Autoindustrie fordert, sagt die Kanzlerin: "Es bleibt dabei, keine fünf Euro Ordnungsgeld gegen Unternehmen, die über Jahre hinweg Millionen von Verbrauchern arglistig, vorsätzlich getäuscht haben."
Wie kann man es deutlicher eingestehen? Hier dient man nicht mehr den Interessen des Volkes, dem Wohl des Volkes und hat die Gesundheit im Auge, sondern versucht Wirtschaftsinteressen zu vertreten.
Die EU klagt gegen Deutschland, und Sie klagen für das Recht auf saubere Luft in den Städten. Rechnen Sie damit, dass in zwei bis drei Jahren die Dieselfahrzeuge entsprechend nachgerüstet sein werden?
Ich weiß es nicht sicher. Ich weiß nur sicher, dass diese Fahrzeuge ausgesperrt sein werden. Mir fehlt auch die Fantasie, wie die Politik das aushält, dass dann zu Recht Millionen von betroffenen Autofahrern einen kompletten Wertverlust ihrer Fahrzeuge erleben und eben auch nicht mehr in die Städte mit ihren Dieselfahrzeugen hereinkommen.
Jürgen Resch ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation nimmt in Deutschland eine führende Rolle bei der Aufklärung im Abgas-Skandal ein und führt zahlreiche Prozesse zum Recht auf saubere Luft in den Städten.
Das Interview führte Gero Rueter.