Kolonialgeschichte neu erzählt
21. Februar 2021Die Debatte rund um die koloniale Vergangenheit und Restitution von Beutekunst ist nicht neu. Seit Jahrzehnten schon wird in den ethnologischen Museen über unrechtmäßig erworbene Gegenstände diskutiert. Innerhalb dieser Debatte tauchte allerdings die Sicht derer, die seit Beginn der Kolonialisierung durch die Spanier und Portugiesen im 16. Jahrhundert Widerstand geleistet haben, bislang zu wenig auf. Das Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) in Köln will dies nun mit seiner neuen Ausstellung ändern. In "Resist! Die Kunst des Widerstands" erhalten diesmal die Kolonialisierten, jene, die unter Unterdrückung litten oder leiden, eine Stimme. "Es geht um einen Perspektivwechsel", erläutert Museumsdirektorin Nanette Snoep das Konzept, "darum, die Nachfahren und Betroffenen sprechen zu lassen und ungehörte Geschichten zu erzählen. Und schließlich um die Frage: Was bedeutet Widerstand heute?"
Blickwechsel auf die Kolonialisierung
Eine Antwort darauf versuchen die vierzig internationalen Künstler und Künstlerinnen aus mehr als dreißig Ländern zu geben. Sie wurden eingeladen, ihre Sicht der Dinge zu präsentieren. Die meisten von ihnen kommen aus dem Globalen Süden oder der Diaspora und haben politische Ansätze. Darunter auffallend viele Frauen, was nicht verwundert, wenn man allein an die namibischen Aktivistinnen rund um Esther Utjiua Muinjangue denkt. Die Aktivistin ist die Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation, einer Stiftung, die seit Jahren vom deutschen Staat eine Entschädigung für das Unrecht fordert, das die ehemalige Kolonialmacht den Herero und Nama in "Deutsch-Südwestafrika" angetan hat.
Die indigenen Aufstände zwischen 1904 und 1908 wurden brachial niedergeschlagen und kosteten mehr als 90.000 Menschen das Leben. Das Gemetzel gilt als erster Völkermord in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. In der Ausstellung sieht man Grafikpanels, die ein namibischer Grafiker zusammen mit Esther Muinjangue und ihrer Mitstreiterin Ida Hoffmann gestaltet hat. Außerdem weisen Fotografien sowie drei Bildschirme mit Filmausschnitten von Demonstrationen und Reden auf die Ereignisse von damals hin. Über allem steht der Slogan "It Cannot be About Us Without Us", ein Slogan, den sich auch die Ausstellungsmacher zu eigen gemacht haben: Nicht über uns (reden) - ohne uns.
Kolonialgeschichte neu erzählt
Der Raum der Namibia-Aktivistinnen ist einer von vier "It's yours"-Räumen, mit denen das Rautenstrauch-Joest-Museum externen Kuratoren und Kuratorinnen einen Ort bietet, um ihre Geschichte, respektive das, was sie zu sagen haben, erzählen zu können. Alle vier wurden von Frauen konzipiert.
Auch die nigerianische Künstlerin und Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Lagos, Peju Layiwola, hat einen Raum gestaltet. Dort sind nun Bronzen aus dem einstigen Königreich Benin neben eigenen Reliefs drapiert. Damit verleiht Layiwola der Debatte um geraubte Kulturgüter, Restitution und "postkoloniale Kontinuitäten" (einem ihrer wissenschaftlichen Schwerpunktthemen) einen neuen Schub. Das RJM besitzt 95 Benin-Bronzen. Sie wurden vom Sammler Rautenstrauch in London erworben - wenige Jahre nachdem die Briten 1897 einen antikolonialen Aufstand blutig niedergeschlagen und die Bronzen als Trophäen mitgenommen hatten.
Ausgegrenzte erhalten eine Stimme
Patricia Kaersenhout aus Amsterdam befasst sich ebenfalls mit Kolonialgeschichte, wobei auch sie versucht, die Erkenntnis hieraus auf heutige Verhältnisse umzumünzen. Auf Textilfahnen, die von der Decke hängen, präsentiert sie drei heute vergessene karibische Pionierinnen der panafrikanischen Befreiungsbewegung aus dem 20. Jahrhundert. "Objects of Love and Desire" heißt ihre Arbeit über die mutigen Frauen, die sich "völlig von der damaligen Idee entfernt haben, wie sich eine Frau, besonders eine schwarze Frau zu verhalten hat", wie Kaersenhout in einem TV-Interview erklärt.
Als Künstlerin und Aktivistin, deren Eltern aus der einstigen niederländischen Kolonie Surinam stammen, verleiht sie so den Ausgegrenzten und Vergessenen eine Stimme. Der politische Faden in ihrer Arbeit wirft Fragen über die Bewegungen der afrikanischen Diaspora und ihre Beziehung zu Feminismus, Sexualität, Rassismus und der Geschichte der Sklaverei auf. "Gerade für junge People of Color ist es sehr wichtig, dass sie ihre Geschichte kennen und dass ihre Vergangenheit nicht nur voller Unterdrückung und Leid ist, sondern auch voller Widerstand."
Spiel mit dem Heldenmythos
Einer, der die Kolonialgeschichte neu erzählt, ist der senegalesische Modefotograf Omar Victor Diop. In seiner Serie "Diaspora" stellt er Bezüge zur Gegenwart her. Mit aufwändiger Staffage schlüpft er in die Rolle historischer Persönlichkeiten, die einst als Diplomaten, Denker und ehemalige Sklaven hohes Ansehen genossen. Ihre außergewöhnlichen Biografien verweisen auf wichtige Episoden des Schwarzen Widerstands, was aber (bislang) kaum jemand weiß.
Mit dem Fußball unterm Arm transportiert Diop die Bedeutung der ikonischen Bilder in die Gegenwart. Auf diese Weise referiert er an die oft stereotype Darstellung schwarzer Männer in den populären Medien, die dort gern mit einer Mischung aus Ruhm, Heldenverehrung und Ausgrenzung einhergeht.
Weltweite Partizipation
In "Resist!" setzt das Museum auf neue Wege in der partizipativen Vermittlung. Repair- und Schreibwerkstätten, Erzählcafés oder eine "Library of Resistance" bieten dabei eine Plattform für kritische Auseinandersetzungen, Vernetzung und Solidarität. Außerdem sind sogenannte "Livespeaker", oft selbst Betroffene von generationsübergreifenden kolonialen Traumata oder Rassismus, regelmäßig zu Gast. "Man kann sie einfach ansprechen und Nachfragen stellen", so Nanette Snoep. Bis das jedoch coronabedingt auch live über die Bühne geht, übernimmt eine eigens gestaltete, interaktive Webseite diese Funktion. Immerhin ermöglicht das die weltweite Teilhabe!
"Resist! Die Kunst des Widerstands", 29.1. bis 11.7.21, Rautenstrauch-Joest-Museum Köln
Unter diesem Link sind neben (u. a. englischsprachigen) Informationen zur Ausstellung auch diverse Videos zu sehen, unter anderem der 90-minütige Eröffnungsfilm mit Urban Dance, Interviews (u. a. mit Peju Layiwola und Esther Utjiua Muinjangue) und einem DJ-Set mit Songs des Widerstands von Rokia Bamba (Artist in Residence für Musik). Die Seite wird sukzessive um weitere Interviews und Filme ergänzt, aber auch mit Liveacts bespielt. Bis zu den realen Veranstaltungen nach dem Lockdown kann man sich dort jetzt schon digital in Workshops und Gesprächen austauschen.