Roma-Kulturinstitut in Berlin eröffnet
8. Juni 2017Es gab eine Zeit in Deutschland, da war eine speziell rezipierte Form der Kultur von Sinti und Roma, damals noch "Zigeuner" genannt, Teil der Populärkultur. In den 1960er und 70er-jahren aßen die Deutschen in Restaurants und daheim gern ein feuriges Zigeunerschnitzel. Die berühmte Sängerin Alexandra sang vom Zigeunerjungen am Lagerfeuer, "Tam ta ta ta tam". Die Strauß-Operette vom "Zigeunerbaron" aus dem Jahr 1885 gehörte zum Standard-Repertoire privater Plattensammlungen. Dahinter steckte bei vielen - wohl als Alternative zum effizienzgetriebenen Wohlstandsleben - die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Wilden, das man mit dem "Zigeuner-Leben" verband. Doch das ist lange her, und es waren wenigstens positiv intendierte Klischees, die damals verbreitet wurden.
In der Gegenwart ist davon nicht viel übrig geblieben. Man sagt zwar nicht mehr "Zigeuner", und Antiziganismus wird von der Politik bekämpft. Doch in den letzten Jahren tauchte die mit 12 Millionen Angehörigen größte ethnische Minderheit in Europa eher im Zusammenhang mit Negativschlagzeilen auf. Speziell ging es um durch Deutschland ziehende Diebes- und Bettlerbanden, wurde berichtet. Viele kämen aus den Ländern des Westbalkans. Seit die Bundesregierung diese Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt hat, ist es um dieses Aufreger-Thema ruhiger geworden.
"Auch Drehbuchschreiber pflegen Vorurteile"
Negative Ressentiments seien in Deutschland noch immer tief verwurzelt, urteilte der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, Romani Rose zur Eröffnung des Europäischen Instituts für Roma Kunst und Kultur, kurz: ERIAC, in Berlin. Vor allem in der Kulturpolitik gebe es noch "viel Handlungsbedarf". In der staatlichen Film- und Fernsehförderung würden sich immer wieder Lücken zeigen, Antiziganismen gepflegt werden. Die Macher und Geldgeber würden übersehen, welche "extrem hohe Ablehnung" sie dadurch bei den Zuschauern erzeugen oder bekräftigen würden. Als Beispiel nannte Rose den Film "Nellys Abenteuer", in dem viele Klischees über Roma vorkommen. In den Fördergremien müssten auch Vertreter der Sinti und Roma einen festen Sitz bekommen, forderte Rose.
Ansonsten aber gab es beim feierlichen Startschuss für das Roma-Institut im Auswärtigen Amt in Berlin nur Positives zu hören. Die Beteiligten zeigten sich froh über das bisher Erreichte. Das Institut geht auf eine private Initiative von Roma-Künstlern und Aktivisten zurück. Sie schlossen sich zu einer "Allianz für ein Europäisches Roma-Institut" zusammen und konnten zwei große Unterstützer gewinnen: den Europarat, der 47 Staaten vertritt, sowie die "Open Society Foundation" (OSF) von George Soros.
Die deutsche Bundesregierung, speziell der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, entschloss sich, das Vorhaben zu unterstützen. Nun fand die Eröffnung sogar im Lichthof des Auswärtigen Amtes in Berlin statt. Staatssekretär Michael Roth betonte, man sei stolz darauf, dass das Institut nun nicht irgendwo in Europa, sondern in Berlin eröffnet werde, einer auch kulturell "vibrierenden Stadt im Herzen eines demokratischen und liberalen Europas".
Ziel: Europaweite Schnittstelle für Roma-Kultur
Noch gibt es das Institut physisch gar nicht. Aber schon zum 1. September hoffe man, Büroräume anmieten zu können, so Timea Junghaus, Geschäftsführerin des Instituts. Zum Starterteam sollen dann vier Mitarbeiter gehören. Ihre Aufgabe soll sein, das Prinzip des Instituts umzusetzen. Nämlich, dass Roma ihre Selbstbilder definieren und präsentieren, "wer sie sind und wer nicht". Junghaus möchte das Institut zu einem "Hub für Roma-Selbstdarstellung" machen.
Die Roma könnten stolz darauf sein, welchen Anteil sie an der europäischen Kultur hätten, sagte Thorbjørn Jagland, Vorsitzender des Europarats. Das sollte die anderen Europäer registrieren und wertschätzen. Genau dies sei ein Grundanliegen des Instituts, sagte der ehemalige norwegische Politiker. So könnten Diskriminierung und negativer Stereotypisierung etwas entgegengesetzt werden.
Wichtig: Vielfalt der Roma-Kultur
Kultur und Kunst könnten Brücken bauen, so war auch von anderen Festrednern bei der Eröffnungsveranstaltung zu hören. Wobei natürlich auch die Roma-Kultur eine innere Vielfalt auszeichne, es also die eine Kultur gar nicht gebe, betonte Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregierung für Minderheiten. Staatssekretär Roth zog einen weiteren Bogen und unterstrich, dass Diversität eben nicht als Gefahr, sondern als Bereicherung wahrzunehmen sei. Auch vom Selbstverständnis der Sinti und Roma könnten die Europäer lernen, so Roth. Da sie kein eigenes Land hätten, habe Nationalität auch keine Bedeutung für sie. Das könne doch Vorbild für Europäer sein, sich also weniger über eine Nation, sondern eben als Europäer zu definieren.
Der Milliardär und Mäzen George Soros rief andere private Stiftungen dazu auf, das Institut zu unterstützen. Es sei wichtig, negative Stereotypen überwinden zu helfen. Im Zuge der europäischen Flüchtlingskrise habe leider auch die Unterstützung für Sinti und Roma nachgelassen. Er hoffe, dass das Institut Künstlern, Literaten, Medienschaffenden und Historikern einen Schutzraum bieten werde, sich weiter zu entwickeln.
Um möglichst viele Menschen an die Arbeit des Instituts zu binden, soll es im Herbst einen europaweiten Aufruf geben, Mitglied zu werden. Dann sollen auch erst Kunst- und Kulturevents geplant werden. Für die fünfjährige Pilotphase des Instituts stehen jährlich 600.000 Euro - unter anderem vom Europarat und der OSF - zur Verfügung.