Ruf nach mehr Aufklärung wird lauter
21. Mai 2014Stefan Aust ist einer der profiliertesten Journalisten Deutschlands. Als langjähriger "Spiegel"-Chefredakteur machte er sich ebenso einen Namen wie als Buch-Autor. Nun hat er gemeinsam mit Dirk Laabs einen über 800 Seiten dicken Band zum Rechtsterrorismus des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vorgelegt. "Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU" ist vom Timing ideal platziert, denn die Diskussion über den Stand der Aufklärung gewinnt seit Wochen an Fahrt.
Bei der Präsentation des vom "Pantheon"-Verlag publizierten Buches sind am Mittwoch (21.05.2014) in Berlin auch Bundestagsabgeordnete anwesend, die dem NSU-Untersuchungsausschuss angehört haben. Clemens Binninger (CDU), Eva Högl (SPD) und Petra Pau (Linke) dürfen sich über viel Lob des Autoren-Duos freuen. Denn ihr Werk basiere vor allem auf der Arbeit und den Dokumenten der Untersuchungsausschüsse des Bundestages und des Thüringer Landtags, erklären Aust und Laabs. "Wir sind auch nicht viel weiter gekommen", sagt Aust scheinbar bescheiden. Wenn das so ist, stellt sich natürlich die Frage nach Sinn und Zweck des Buches. Austs Kompagnon Laabs gibt die Antwort: Um der interessierten Öffentlichkeit einen Überblick zu geben.
Auch in Hessen soll es einen Untersuchungsausschuss geben
"Dieses Buch soll ein Anfang sein und nicht das letzte Wort." Es ist der letzte Satz auf Seite 823, und Aust zitiert ihn gleich zu Beginn seiner Anmerkungen zum NSU-Komplex. Der Satz hätte auch im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages stehen können, der im Sommer 2013 kurz vor Ende der Legislaturperiode vorgelegt wurde. Denn dass es trotz der akribischen Arbeit des anderthalb Jahre tagenden Gremiums noch viele offene Fragen gibt, darüber waren sich auch die Parlamentarier in Berlin einig. Für die Fortsetzung der Aufklärungsarbeit wäre es nötig gewesen, nach der Bundestagswahl im vergangenen September wieder einen Ausschuss einzusetzen. Dafür wollte sich mit Ausnahme des nicht mehr im Bundestag vertretenen FDP-Abgeordneten Hartfrid Wolff niemand recht erwärmen.
Wolffs ehemalige Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss wollen das Thema NSU mit seinen vielen Facetten weiterhin aufmerksam beobachten. Akuten Handlungsbedarf sieht CDU-Mann Binninger im Moment allerdings nicht. Ganz anders stellt sich die Lage in einzelnen Bundesländern dar. Die Ausschüsse in Sachsen und Thüringen arbeiten immer noch. Und in Hessen wird die parlamentarische Aufklärung in Kürze erst beginnen. Am Donnerstag (22.05.2014) will die oppositionelle SPD ihren Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses einbringen. Hintergrund ist der Mord an dem Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat im April 2006 in Kassel. Zum Tatzeitpunkt war ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in dem Café, will aber nichts bemerkt haben. Der Mann erregte als zwielichtiger Zeuge im Münchener NSU-Prozess schon mehrmals die Gemüter insbesondere der Opfer-Angehörigen.
Akten zu einem zwielichtigen Verfassungsschützer unter Verschluss
Zahlreiche Akten zu dem Fall, von denen sich Nebenkläger-Anwälte Aufklärung erhoffen, bleiben auf Geheiß des hessischen Innenministeriums unter Verschluss. Verantwortlich für diese schon vor Jahren getroffene Entscheidung war der inzwischen als Ministerpräsident amtierende Volker Bouffier (CDU), der ein Bündnis mit den Grünen anführt. Gemeinsam befürworten sie eine Experten-Kommission, die Konsequenzen für die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz erarbeiten soll. Die SPD wünschte sich außerdem ein Gremium, das Pannen und Widersprüche bei den Ermittlungen im Mordfall Yozgat aufklären sollte.
Weil es in Hessen beim Umgang mit dem NSU-Komplex keinen überparteilichen Konsens gibt, wird es nun also auch dort einen Untersuchungsausschuss geben. Für dieses klassische parlamentarische Minderheitenrecht benötigt die SPD aufgrund ihrer eigenen Fraktionsstärke theoretisch keine zusätzlichen Stimmen. Die ebenfalls oppositionellen Linken werden sich aber trotzdem anschließen, denn sie fordern schon seit langem ein parlamentarisches Aufklärungsgremium.
CDU-Politiker Laschet sieht "große Ungereimtheiten"
Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es neue Überlegungen. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Armin Laschet, denkt über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Düsseldorfer Landtag nach. Man prüfe "ernsthaft und offen" die Chancen eines solchen Gremiums, sagte Laschet gegenüber "stern.de". Unzufrieden ist der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende vor allem mit der Aufklärung des Attentats in der Kölner Keupstraße. Dort waren 2004 bei der Explosion einer mit Nägeln gefüllten Bombe 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden. Auch für diese Tat soll nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft der NSU verantwortlich sein, dem zehn Morde zur Last gelegt werden.
Im seit gut einem Jahr laufenden Strafverfahren vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) vertreten zahlreiche Anwälte die Interessen der Opfer aus der Keupstraße. CDU-Politiker Laschet sieht bei der bisherigen Aufklärung des Bombenanschlags "große Ungereimtheiten". Im Untersuchungsausschuss des Bundestages seien viele Vorgänge "aus Zeitmangel ungeprüft" geblieben, bedauert Laschet. Es ist also gut möglich, dass schon bald zwei weitere Aufklärungsgremien ihre Arbeit aufnehmen werden, um Antworten zu finden auf die vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit den NSU-Morden.