Südafrika und das politische Erbe Mandelas
17. Juli 2018"Mandela wäre sehr besorgt über das Südafrika im Jahre 2018." Das sagt Jakkie Cilliers, Direktor des südafrikanischen Instituts für Sicherheitsstudien (ISS). Viele Experten teilen seine Meinung.
Der Mythos um den einstigen Freiheitskämpfer ist gegenwärtig in Südafrika - dafür sorgen schon die vielen Gedenkstunden, die nach ihm benannte Stiftung sowie die Regierungspartei des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) landesweit zu seinem Ehrentag veranstalten. Doch es ist eine Partei, die zutiefst gespalten ist und an Bedeutung verliert. Das Südafrika der Gegenwart ist ein Land in Aufruhr: eine von Korruption, Nepotismus und Willkür zerfressene Gesellschaft. 24 Jahre nach dem Ende der Apartheid und Mandelas Amtsantritt als erstem schwarzen Präsidenten ringt sie erneut mühsam um eine bessere Zukunft. Ist der Traum einer blühenden Regenbogengesellschaft, die zu Mandelas Idealen gehörte, ausgeträumt?
Heute ist Mandelas Wunsch-Nachfolger Präsident
"Die Regierung des korrupten Präsidenten Jacob Zuma hat dem Land großen Schaden zugefügt. Der nationale Zusammenhalt des Volkes bekam einen Schlag ab. Es wird lange dauern, bis sich Südafrika davon erholt", sagt Cilliers vom ISS im DW-Interview.
Zuma ist mittlerweile nicht mehr im Amt. Seit Februar 2018 ist Cyril Ramaphosa Präsident - ein Vertrauter Mandelas. Ihn hatte sich Mandela selbst als Nachfolger gewünscht, doch Thabo Mbeki setzte sich damals in der Partei durch. Ramaphosa war unter Mandela federführend an der Ausarbeitung der modernen, liberalen südafrikanischen Verfassung beteiligt. "Ich glaube, wir werden durch Ramaphosas Verhandlungsgeschick einige der moralisch-ethischen Werte, die Mandelas Führungsstil und Vision einer nicht-rassistischen Gesellschaft ausgemacht haben, wiederkehren sehen", sagt Cilliers.
Mandela - ein Verräter?
Mandela habe sich auf die Versöhnung einer durch Rassenhass getrennten Gesellschaft konzentriert, betont Cilliers. Aber die Lösung der großen Probleme habe er zur Seite geschoben: Soziale Ungleichheit prägt das Land bis heute. Die Umverteilung von Land, das noch immer mehrheitlich in weißem Besitz ist, und die Frage nach Entschädigungen für Farmer sind weiterhin ungelöst und sorgen heute noch für Zündstoff. Doch Cilliers sieht die Schuld dafür nicht allein bei Mandela: Es sei damals zu früh für radikalen Wandel gewesen, sagt er.
Diese Probleme seien aber insbesondere durch die neunjährige schlechte Regierungsführung Jacob Zumas verstärkt worden, so Cilliers weiter. Dabei weist er zurück, was gerade viele junge Südafrikaner denken: Mandela habe die Probleme der jungen Demokratie während seiner fünfjährigen Amtszeit nicht entschieden genug bekämpft, er sei ein "Sell-out", ein Verräter.
"Seine Hauptaufgabe lag darin, einen drohenden Bürgerkrieg zwischen Schwarz und Weiß zu vermeiden. Wie er das geschafft hat, das ist bemerkenswert." Man dürfe nicht vergessen, dass die politischen Machtverhältnisse damals anders lagen als heute. Während der ANC heute zerstritten ist und bei den Kommunalwahlen 2016 seine Mehrheit im Rathaus von Johannesburg und Pretoria verlor, genoss er zu Mandelas Wahl als Präsidenten 63 Prozent Wählervertrauen. Die weiße Minderheit fürchtete derweil um ihre Privilegien.
Mandelas Erbe lebt
Aber in Mandela fand Südafrika eine Stimme, die alle Volksgruppen schätzten. "Viele Leute urteilen jetzt über ihn gemessen an den Herausforderungen des heutigen Südafrika", sagt Cilliers. Dabei habe der Übergang von der Apartheid-Regierung zu Mandelas Präsidentschaft auf langen Verhandlungen und Kompromissen beruht. "Keine Partei war damit richtig zufrieden." Trotzdem ist er überzeugt: "Mandelas politisches Erbe ist wichtig - und lebt", betont ISS-Direktor Cilliers. "Allerdings müssen wir einige dieser Werte für unsere zerrüttete Gesellschaft zurückerobern."
Heute ist das Land am Kap geprägt von wachsender Ungleichheit und Armut. Das Wirtschaftswachstum liegt bei knapp über einem Prozent, die offizielle Arbeitslosigkeit bei 27 Prozent, die Hälfte der Jugendlichen ist ohne Job. 80 Prozent der Studierenden sind zwar Schwarz, aber 55 Prozent davon beendeten ihr Studium nicht, sagt Adam Habib, Vizekanzler der Witwatersrand Universität Johannesburg.
Kein Heiliger
Adam Habib glaubt wie Cilliers, dass Mandela über das heutige Südafrika sehr betrübt wäre. Er würde laut Habib aber selbst verursachte Fehlentwicklungen anerkennen, wie die Anpassung an ein konservatives Wirtschaftsprogramm, das die soziale Ungleichheit verstärkte. "Das hat wiederum die Gesellschaft politisch und sozial polarisiert", sagt Habib im DW-Interview. "Madiba (Mandelas Klan-Name, Anm. d. Red.) hat der Welt auch diese Botschaft gegeben: Er ist kein Heiliger."
Er sieht politische Schwächen, aber auch Erfolge wie die Vermeidung eines Bürgerkrieges. Beispielhaft sei laut Habib die Niederlegung seiner Präsidentschaft nach nur fünf Jahren 1999. "Wenn junge Menschen Mandela vorwerfen, er habe sein Land durch Zugeständnisse an die Weißen betrogen, dann sagen sie das aus dem Privileg der Post-Apartheid heraus", sagt Habib.