Schalkes Fährmann: Nach Neuer der Beste?
19. November 2015An einem der Trainingsplätze von Schalke 04 gibt es an der Rückwand einer Werbebande eine ziemlich hässliche Schmiererei. "Neuer ist der Coolste", steht da in krakeliger Handschrift. Inhaltlich falsch ist die Message sicher nicht, schließlich trägt der Torhüter von Bayern München, der mit fünf Jahren bei den Königsblauen in Gelsenkirchen mit dem Kicken begann, schon seit einer gefühlten Ewigkeit den Beinamen "Welttorhüter". Aber richtet sich der Neuer-Spruch auf dem Trainingsgelände nicht auch irgendwie gegen den aktuellen Keeper Ralf Fährmann?
Wohl kaum, schließlich ist die 1,96-Kante längst in die Spitzengruppe der deutschen Torhüterkaste aufgerückt. Fußballerisch hat Fährmann zwar zweifelsfrei Defizite im Vergleich zu Neuer, was aber seine Reflexe und die Strafraumbeherrschung angeht, muss er sich vor niemanden verstecken. Experten wie Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann oder auch sein früherer Trainer Ralf Rangnick sehen den 27-jährigen Schalker auf dem direkten Weg in die Nationalmannschaft.
Lebenstraum: Nummer eins bei Wahnsinnsverein
Fährmann ist Schalker durch und durch. Mit 14 Jahren wechselte er vom Chemnitzer FC in die "Knappenschmiede", die Jugendabteilung der Gelsenkirchener, und seither lebt er Schalke 04. "Wir haben keinen im Kader, der sich stärker mit Schalke 04 identifiziert", sagt Pressesprecher Yilmaz Sanli. Und Fährmann selbst ergänzt, dass es "vom ersten Tag auf Schalke sein Lebenstraum war, einmal die Nummer eins dieses Wahnsinnsvereins zu tragen".
Der Weg in den königsblauen Kasten verlief aber alles andere als geradlinig. Schließlich stand Fährmann auf Schalke lange der zwei Jahren ältere Manuel Neuer im Weg. Während Fährmann mit den Gelsenkirchenern deutsche A-Jugendmeister wurde, hatte sich sein Kumpel Neuer, "mit dem er auch neben den Platz einiges erlebt hat", schon bei den Profis etabliert. Fährmann empfand seine Lage als so aussichtslos, dass er 2009 zu Eintracht Frankfurt wechselte. Dort hatte er aber nicht nur gegen Fan-Ikone Oka Nikolov zu kämpfen, sondern auch mit wechselnden Trainern und am Ende auch gegen den Abstieg. Und weil er die wenigsten dieser Kämpfe gewinnen konnte, war die Anfrage seiner Schalker vor der Saison 2011/2012 mehr als eine zweite Chance.
Neuer war gerade zu den Bayern gewechselt, nun sollte Fährmann ihn ersetzen. Allerdings stoppte ihn nach nur neun Spielen als Schalker Keeper ein Kreuzbandanriss. In der Zwischenzeit hatte in einer trubeligen Phase auf Schalke mal wieder der Trainer gewechselt. Fährmann musste sich hinter der neuen Nachwuchshoffnung Lars Unnerstall sowie dem zwischenzeitlich verpflichteten Timo Hildebrand und Back-Up Mathias Schober anstellen. Er verschwand für zwei Jahre bei den Amateuren.
Aggressionsabbau im Kraftraum
"Ja, dass war schon einer der schwierigsten Punkte in meinem Fußballerleben. Gefühlsmäßig bin ich damals oft gegen eine Wand gelaufen, und das immer wieder und immer wieder", erinnert sich Fährmann.
Doch statt zu resignieren, trainierte Fährmann noch intensiver. Der Kraftraum des Trainingsgeländes wurde der Ort, an dem er "Aggressionsabbau" betrieb und quasi nebenbei sechs Kilogramm Muskelmasse zulegte. Dazu fing er an, auf eigene Kosten mit einem Mentaltrainer zu arbeiten.
Mittlerweile ist Fährmann aus dem Kader des FC Schalke 04 nicht mehr wegzudenken. Mehr noch: Spätestens unter Trainer André Breitenreiter ist er zu einer festen Größe geworden, um die herum die Mannschaft für eine goldene Zukunft der Königsblauen gebaut werden soll.
Freudiges Wiedersehen mit Manuel Neuer
Beeindruckend an Fährmanns Performance ist vor allem seine Kontinuität. Weltklasse-Paraden liefert er, wie zulelzt bei der 2:3-Niederlage im Derby bei Borussia Dortmund, mittlerweile in Serie ab. Und dabei scheint er auf dem Feld, wo Jungspunde wie Leroy Sané, Max Meyer und Leon Goretzka mehr und mehr das Spiel der Schalker prägen, in sich zu ruhen. Aber dieser Eindruck täuscht, erklärt Fährmann und erinnert sich an das zurückliegende Gastspiel in Dortmund: "Ich persönlich bin Schalker durch und durch. In dem Spiel war es eher so, dass ich mich ein bisschen beruhigen musste, dass ich nicht gleich aus meinem Strafraum herausrenne und jemanden umgrätsche, jemanden wegtackle."
Genau in solchen Situationen hilft dem 27-Jährigen sein inzwischen erworbenes sportpsychologisches Handwerkszeug. Und so jubelte er mit den Schalker Fans, während Teamkollegen wie Kolasinac nach dem zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich provozierend vor der Dortmunder Südtribüne feierten. "Aber wenn ich ein Tor geschossen hätte, dann wäre mir das bestimmt auch passiert", sagt er grinsend und nimmt seine Teamkameraden in Schutz: "Emotionen sind ja auch das Schöne am Fußball. Das muss man dann auch immer mal ein Stück weit genießen und sich vergegenwärtigen, wie geil das doch ist, was wir erleben."
Auch auf das Erlebnis gegen Bayern München am Samstag (Anstoß 18:30 Uhr MEZ) freut er sich schon. Vor allem weil das Topspiel des 13. Spieltags für ihn ein Wiedersehen mit Manuel Neuer ist. Eine Chance - gerade mit Blick auf die Nationalmannschaft - zu zeigen, dass der Unterschied zwischen ihm und dem Welttorhüter mittlerweile viel kleiner geworden ist, sieht er dagegen nicht. Und auch bei den meisten Schalker Fans ist die Emotionalität in Sachen Neuer längst abgekühlt. Die Schmiererei auf dem Trainingsgelände scheint ohnehin nur ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein: Über "Neuer ist der Coolste" wurde nämlich noch inklusive Rechtschreibfehler "Fafan" (gemeint ist wohl Jefferson Farfán, Anm. der Redaktion) gekritzelt. Dessen richtig gute Jahre auf Schalke liegen schon länger zurück. Mittlerweile kickt Farfán in den Vereinigten Arabischen Emiraten.