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Schlafmohn als Überlebensgrundlage

Sandra Petersmann1. Januar 1970

Nach dem neuen Drogenbericht der UNO ist Afghanistan der größte Rohopiumproduzent der Welt. Der Anbau von Schlafmohn ist zwar verboten, aber sehr lukrativ. Die Menschen sind in ihrer Not darauf angewiesen.

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Rohstoff: Schlafmohnernte in AfghanistanBild: AP

Das kleine Feld hinter dem eingefriedeten Lehmhaus im Bergdorf Kwaja Ghaar im Nordosten Afghanistans ist frisch gepflügt. Der Boden soll im Winter ruhen. Bauer Ali grinst verlegen. Nein, er hat in diesem Jahr kein Getreide angebaut, das bringt kein Geld. Außerdem ist der Boden sowieso zu trocken. Ali hat Schlafmohn angepflanzt. So wie fast alle Bauern der Umgebung. "Was sollen wir denn machen? Wenn wir Weizen oder Mais anbauen, dann kriegen wir dafür auf dem Markt kein Geld", erzählt er. "Selbst wenn ich 100 Kilogramm Weizen ernten und verkaufen würde, bringt das meine Familie nicht über den Winter. Wir sind gezwungen, Schlafmohn anzubauen."

Kein Gedanke an die Folgen

Ali hat in diesem Jahr sieben Kilogramm Rohopium geerntet. Für jedes Kilo hat er knapp 300 Dollar bekommen. Macht zusammen fast 2100 Dollar, um sich selbst, seine Frau und die elf Kinder durch den harten Winter zu bringen. Ali hat sich um nichts kümmern müssen. Er hat nur gepflanzt und geerntet. Lesen kann er nicht, und dass aus seinen sieben Kilogramm Rohopium in Europa 700 Gramm reines Heroin im Wert von 70.000 Euro werden, interessiert ihn nicht weiter. "Ich weiß nicht, wie und wo sie das Heroin herstellen. Der Käufer kommt zu mir, ich gebe ihm das Rohopium, er gibt mir mein Geld, und mehr weiß ich nicht." Natürlich weiß Bauer Ali, dass es verboten ist, Schlafmohn anzubauen. Er zuckt mit den Schultern. Bisher habe er keine Probleme gehabt, niemand würde sich dafür interessieren. "Vielleicht ändert sich das, wenn wir nach der neuen Verfassung eine richtige Regierung haben, die auch Macht hat", meint er, "aber ich sage Ihnen noch was: wenn Du Hunger hast, dann machst Du, was nötig ist, um ein Stück Brot zu kriegen." Für den 54-jährigen Kleinbauern aus dem Bergdorf Kwaja Ghaar steht fest: er wird auch im nächsten Jahr wieder Schlafmohn anbauen.

Nur scheinbar strikte Kontrollen

Ortswechsel. Am nördlichen Stadttor der Provinzhauptstadt Kunduz, in der jetzt auch Soldaten der Bundeswehr stationiert sind, soll Polizeioberst Hafi Sulah kontrollieren, was in die Stadt reinkommt. Der Basar der 120.000 Einwohner zählenden Stadt ist einer der Hauptumschlagplätze für Rohopium im nördlichen Afghanistan. "Wir nehmen unsere Kontrollen sehr ernst. Die Leute, die Opium schmuggeln und mit Drogen handeln, sind unter unserer Kontrolle", erklärt er selbstbewusst. "Wir haben schon oft etwas gefunden."

Die Realität sieht anders aus. Die Polizisten am nördlichen Stadttor von Kunduz kontrollieren nur private Autos. Aber die nagelneuen Geländewagen mit ihren abgedunkelten Scheiben und alle Fahrzeuge, die halbwegs offiziell aussehen, geben Gas, ohne dass irgendjemand die Hand hebt. Der Eindruck bestätigt sich im Gefängnis von Kunduz. Es ist das Zentralgefängnis der gleichnamigen Provinz. Hier versammeln sich gerade über 100 männliche Gefangenen im Innenhof. Gefängnisdirektor Abdel-Halim Samanwal blättert durch das Häftlingsbuch. 42 Mörder, 27 Diebe, vierzehn Vergewaltiger und Ehebrecher, zehn Homosexuelle. Nur ein einziger Häftling sitzt wegen Drogenhandels ein.

Korruption allerorten

Der afghanische Innenminister Ali Jalali spricht aus, was ohnehin alle wissen: "Die Polizisten sind oft Teil des Systems." Diejenigen, die für den schwachen Staat gegen den Drogenhandel kämpfen sollen, sind oft selber darin verwickelt. Dazu kommen die Kriegsfürsten und lokalen Kommandanten, die sich sowieso nichts von der Zentralregierung in Kabul sagen lassen und kleine Bauern sogar dazu zwingen, Schlafmohn anzubauen.

Nachfrage regelt das Angebot

Afghanistan kann das Problem nicht alleine lösen. Solange es keine starke Regierung gibt, wird der Schlafmohn weiterblühen. Und solange die Bauern keine Alternative haben und der unersättliche Markt in Europa und den USA weiter wächst, solange wird das Rohopium ihre wichtigste Einnahmequelle bleiben. Rund 1,7 Millionen Menschen leben von den lila Blüten und ihrem klebrig-braunen Saft. Das sind rund sieben Prozent der gesamten Bevölkerung.