Schlechtere Visa-Chancen für Afrikaner
7. Juni 2018Lesen Sie diesen Artikel auf Englisch oder Französisch.
Grace Boateng (Name geändert) hatte es sich einfacher vorgestellt. Vor drei Jahren stellte die 26-jährige aus Ghana zum ersten Mal einen Visumantrag. "Am Ende hieß es: Tut uns leid, wir können Ihnen kein Visum geben. Wir sind uns nicht sicher, dass Sie nach dem Ablauf nach Ghana zurückkehren", erzählt sie im DW-Interview. Grace hingegen betont, sie habe alle Anforderungen erfüllt. "Ich habe gesagt: 'Ich habe euch meine Kontoauszüge gezeigt, ich habe eine Wohnung hier in Accra, ich habe Familie hier. Was wollt ihr denn noch?"
Doch auch ihr Widerspruch wurde abgelehnt. Zwei weitere Anträge ebenso, das Visum bekam sie nach eigenen Angaben erst beim vierten Mal. Grace glaubt, dass ihre Herkunft der Grund war. "Warum ist es für uns Afrikaner schwerer, nach Deutschland zu kommen, als zum Beispiel für Menschen aus China oder Australien?", fragt sie.
Grace Boateng ist nicht die einzige, die das glaubt. Doch stimmt der Vorwurf auch? In einer Datenanalyse haben DW-Journalisten die Visa-Vergabe an deutschen Botschaften in den Jahren 2014 bis 2017 ausgewertet. Dabei haben sie nationale Visa in den Blick genommen, also Anträge auf Langfristvisa für Studienzwecke, Arbeit oder Familienzusammenführung. Sogenannte "Schengen-Visa" für Kurzbesuche blieben außen vor.
Jeder fünfte Antrag aus Afrika wird abgelehnt
Erste Auffälligkeit: Die Zahl der entschiedenen Visa-Anträge an allen deutschen Botschaften und Konsulaten weltweit ist zwischen 2014 und 2017 um 58 Prozent gestiegen - die Zahl der Ablehnungen um 131. In diesem Zeitraum kamen nur gut 10 Prozent der entschiedenen Anträge aus Afrika. Weitaus mehr kamen aus Asien (60 Prozent) und europäischen Ländern, die nicht zur EU gehören (23 Prozent). Bei den Ablehnungen liegt Afrika deutlich vorn: 22 Prozent aller Anträge wurden abgelehnt - das ist knapp jeder fünfte. Aus Europa wurde nur jeder achte abgelehnt, aus Asien jeder zehnte. Das heißt: Ein Antrag aus Afrika wird zweimal so häufig abgelehnt wie ein Antrag aus Asien.
Es ist schwer, dafür konkrete Gründe zu benennen. Ein Interview zu den Ergebnissen der Datenanalyse wollte das Auswärtige Amt der DW nicht geben. Es teilt auf DW-Anfrage jedoch mit, dass die Entscheidung über die Visa-Vergabe von der jeweiligen Botschaft anhand objektiver Kriterien getroffen würde. Antragsteller müssen ihren Lebensunterhalt nachweisen können, also über ausreichende Geldmittel für den Aufenthalt in Deutschland verfügen oder eine Person in Deutschland kennen, die diese Kosten übernimmt. Weiterhin muss laut Auswärtigem Amt der angestrebte Aufenthaltszweck plausibel nachgewiesen werden. Beim Familiennachzug müssen also Ehepartner oder Kinder eindeutig belegen, dass sie mit dem in Deutschland lebenden Ehepartner oder Elternteil wirklich verheiratet bzw. verwandt sind. Weisungen, Anträge aus einem bestimmten Land grundsätzlich härter zu prüfen oder schneller abzulehnen gibt es laut Auswärtigem Amt nicht.
Große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern
Der Migrationsforscher Jochen Oltmer glaubt, dass die Nationalität trotzdem eine Rolle spielt. Er ist Professor am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. "Es geht auch immer um die Frage, wie es um die innenpolitische Lage in dem Herkunftsland eines Antragstellers steht", sagt er im DW-Interview. Die Frage sei: "Wird eine Einreise eher als Bedrohung verstanden, weil z.B. Sicherheitsgefahren, Gesundheitsgefahren oder Gefahren für das Sozialsystem bestehen könnten?" Der Experte glaubt, dass dies insbesondere im Fall von Antragstellen aus Afrika eine Rolle spielen könnte. Oltmer: "Handelt es sich um eine reiche Demokratie oder eine arme Diktatur? Wenn man sich die bundesdeutschen Vorstellungen von Afrika anschaut, dann sieht man: Afrika wird vor allem als ein Kontinent gesehen, der von Armut, extremer Ungleichheit und hohem Migrationspotenzial gekennzeichnet ist."
Solche Gründe könnten auch erklären, warum es bei der Ablehnung von Visa-Anträgen große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern gibt. In Nigeria wurden zwischen 2014 und 2017 zum Beispiel 5268 Anträge gestellt, in Südafrika 4089. Trotzdem wurden in Südafrika nur sechs Prozent der Anträge abgelehnt, in Nigeria dagegen 24. "Nigeria ist ein bevölkerungsreiches Land, das gerade in den letzten Jahren sehr stark mit folgenden Faktoren verbunden wurde: einem hohem Migrationspotenzial, schweren gewalttätigen Konflikten, dem Terror von Boko Haram und schweren Menschenrechtsverletzungen", sagt Oltmer.
Die Zahlen zeigen einen großen Widerspruch zwischen der offiziellen deutschen Politik und der Realität. Bereits seit letztem Jahr verspricht die deutsche Politik, die Einreisemöglichkeiten für junge Afrikaner zu verbessern: "Wir wollen mehr jungen Menschen aus Ghana ein Studium oder eine Berufsausbildung in Deutschland ermöglichen. Ich denke, wir müssen illegale Migration bekämpfen, aber auf der andere Seite legale Chancen gerade für junge Leute eröffnen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch des ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo im Februar.
Die Ghanaerin Grace Boateng hat längst ihre eigene Meinung zur deutschen Visa-Politik: "Ich habe jemanden getroffen der mir sagte: 'Von mir haben sie schon sieben Anträge abgelehnt. Sie wollen wohl einfach nicht, dass ich nach Deutschland komme.' Warum lasst ihr Menschen immer wieder Anträge stellen? Sie müssen Geld bezahlen, manchmal von sehr weit anreisen, um zur Botschaft zu kommen und dann lehnt ihr die Anträge immer wieder ab. Das ist einfach absurd."