Schutzschirm für die Bonität
12. Juni 2009Eine weiter steigende Staatsverschuldung habe "fatale Folgen" - das machte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück dem Parlament bereits Ende Mai deutlich. Die weltweite Finanzkrise stelle mittlerweile selbst die Kreditwürdigkeit von Staaten in Frage, die bisher als "unantastbar" angesehen würden, warnte Steinbrück und forderte: "Wir müssen den Finanzmärkten ein Signal geben, dass in Deutschland solide mit dem Haushalt umgegangen wird."
Andernfalls drohe nicht nur ein Herunterstufen der Bonität samt höheren Kreditzinsen. Es gehe auch um die Stabilität des Euro und die Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. In diesem Sinne versuchte Steinbrück die Abgeordneten davon zu überzeugen, einer gesetzliche "Schuldenbremse" zuzustimmen, die dem jahrzehntelangen Leben des Staates auf Pump ein Ende machen soll.
Zwei-Drittel-Mehrheit für Kurswechsel
Kurz darauf stimmte der Bundestag mit Zweidrittel-Mehrheit zu, die Verfassung so zu ändern, dass der Bund ab 2016 jedes Jahr nur noch Kredite von höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen darf. Die Mehrheit der 16 Bundesländer will sogar überhaupt keine Schulden mehr machen, allerdings erst ab 2020.
Bei dieser Entscheidung geht es auch um die Handlungsfähigkeit des Investors Staat: 85 Prozent des deutschen Bundeshaushalts sind heute bereits von vornherein fest verplant, durch Rentenzuschüsse, Sozialleistungen, "Betriebsausgaben" des Bundes und nicht zuletzt durch die rapide wachsenden Zinszahlungen für die Staatsverschuldung von über 1500 Milliarden Euro. "In Wirklichkeit entscheiden Sie als Souverän des Landes nur noch frei über 15 Prozent des Bundeshaushaltes, mehr nicht", verdeutlichte Steinbrück.
Steinbrück lernt von der Schweiz
Nach vier Jahrzehnten ungehemmten Schuldenmachens muss der Bund in diesem Jahr voraussichtlich 70 Milliarden Euro Zinsen zahlen. Das ist sieben mal mehr als für Bildung und Forschung ausgegeben wird. Die "Schuldenbremse" soll die Wende bringen, wenn auch erst in einigen Jahren. Deutschland folgt damit dem Beispiel kleinerer europäischer Länder, die bereits ähnliche Regelungen beschlossen. Auch in den USA experimentieren Bundesstaaten seit Jahrzehnten mit Schuldenschranken per Gesetz.
Eindeutig missglückt ist der Versuch der Briten, den Schuldenstand bei maximal 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festzuschreiben. Möglicherweise sei das Schweizer Modell erfolgversprechender, an das sich auch die Deutschen anlehnen, sagt Professor Clemens Fuest von der Universität Oxford. Es erlaube ein gewisses Maß an Schulden im Konjunkturzyklus, wenn die Wirtschaft sich in einem Abschwung befindet. "Und wenn dann der Aufschwung kommt, muss das wieder abgetragen werden."
Tauziehen zwischen Bund und Ländern
Der selbstverordnete "Zwangsentzug" in Sachen Schuldenmacherei wurde, wie im föderalen Deutschland üblich, erst nach langem Tauziehen beschlossen. Als Gegenleistung für ihre Zustimmung in der "Föderalismuskommission" von Bund und Ländern haben fünf ärmere Länder - Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein, Sachsen- Anhalt und Saarland - bis 2019 Hilfen von insgesamt 7,2 Milliarden Euro ausgehandelt. Die letzte Hürde nahm die neue Schuldenregelung am 12. Juni mit der Zustimmung der Ländervertretung, des Bundesrates.
Während sich die regierende Große Koalition selbst auf die Schulter klopft und von einem "historischen Schritt" spricht, ist das öffentliche Echo zwiespältig. Linke Politiker, Gewerkschaften, aber auch ein Teil der Wirtschaftswissenschaftler fürchten, dass der Schuldenbremse vor allem notwendige Investitionen in Bildung und Kultureinrichtungen zum Opfer fallen. Der andere Teil der Kritiker warnt vor der Findigkeit der Politiker beim Versuch, die neuen Regeln zu umgehen.
Entscheidend ist der Wille
Denn Ausnahmen sind künftig in Deutschland nicht nur zur Stabilisierung der Konjunktur, sondern auch bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen möglich, "die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen". Finanzwissenschaftler Clemens Fuest verweist trotzdem auf positive Erfahrungen in Ländern mit "Schuldenbremsen". Es gebe zwar Tricksereien und Schattenhaushalte, trotzdem seien die Schulden in Staaten mit Schuldenschranken niedriger als anderswo.
Es sei weniger ein Erfolg der Gesetze, sondern eher ein Ausdruck dafür, "dass man sich politisch von der Strategie verabschiedet hat, alle Probleme mit Schulden zu lösen." Die Einsicht und der Wille zum Kurswechsel seien entscheidend. Dabei können die deutschen Politiker durchaus auf die Bevölkerung zählen. Zwei Drittel aller Deutschen sind dagegen, dass der Staat weiter Schulden macht.
80 Milliarden liegen zwischen Wunsch und Realität
Doch wie weit die Realität noch vom Wunsch entfernt ist, macht Finanzminister Steinbrücks Ankündigung deutlich, im nächsten Jahr werde man wegen der Finanzkrise wohl 90 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen müssen. Die Schuldenbremse würde nur ganze acht Milliarden erlauben. Doch sie ist noch nicht in Kraft. Und außerdem herrscht ja eine "außerordentliche Notsituation".
Autor: Bernd Gräßler
Redakteurin: Insa Wrede