Schweigemarsch für autonome Uni in Budapest
24. Oktober 2020Die Teilnehmer marschierten weitgehend schweigend durch Budapest, um den Erhalt der Autonomie der Budapester Theater- und Film-Universität (SZFE) zu fordern. Wie das Nachrichtenportal "merce.hu" berichtet, trugen sie Transparente mit Aufschriften wie "Die Kunst ist frei" und "Es reicht!". Der Zug endete mit einer Kundgebung vor dem Gebäude der Theater-Uni, das die Studenten seit fast zwei Monaten besetzen.
Am 1. September hatte die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban der wichtigsten Ausbildungsstätte für Theaterleute und Filmemacher in Ungarn die Autonomie entzogen. Anstelle des gewählten Senats setzte sie ein fünfköpfiges Kuratorium als Führungsgremium ein. Diesem steht der Nationaltheater-Intendant Attila Vidnyanszky vor, der als Orbans "Mann fürs Grobe" in Theaterfragen gilt. Der Universitätsrektor und Senat werfen im Gegenzug der Regierung vor, ihre Handlungsfreiheit beschränken zu wollen. Diese erklärte hingegen, die Änderungen sollten die Einrichtungen der Universität sowie die Qualität der Lehre verbessern. Bisher zeigte sie keinerlei Zeichen des Einlenkens.
Regierungstreuer neuer Kanzler
Das Kuratorium übernahm inzwischen praktisch alle Leitungsfunktionen und entmachtete den Senat. Es bestellte zuletzt Gabor Szarka, einen Armee-Oberst der Reserve, zum neuen Kanzler. Aus Protest gegen das Vorgehen der Regierung besetzten Studenten und Dozenten das Universitätsgebäude. Sie erkennen das Kuratorium und die von ihm ernannten Führungspersonen nicht an. Szarka verwehrten sie bislang den Zugang zum Uni-Gebäude. Sie fordern zudem die Abschaffung des Kuratoriums und die Wiederherstellung der Universitätsautonomie.
Im Rahmen der Besetzung etablierten die Studenten eine sogenannte "Lehrrepublik". Das bedeutet, dass der Unterricht in den angebotenen Studienfächern teilweise weitergeführt wird. Darüber hinaus widmen sich die Teilnehmer der Entwicklung demokratischer Entscheidungsprozesse und der Vorbereitung von politischen Aktionen.
Zunehmend autoritäre Handschrift
Auch in anderen Bereichen legt Orban einen autoritären Regierungsstil an den Tag. Der jüngste Rechtsstaatsbericht der EU-Kommission beanstandete unter anderen Eingriffe in die Justiz sowie die zunehmende Ausschaltung von unabhängigen Medien. Die Demonstration am Freitag erinnerte bewusst auch an den Jahrestag der ungarischen Revolution von 1956. Am 23. Oktober jenes Jahres hatte ein Studentenprotest den bewaffneten Aufstand gegen die damalige kommunistische Herrschaft ausgelöst. Er wurde schließlich nach weniger als zwei Wochen von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen.
Orbans Kritiker sehen in dem Konflikt den jüngsten Schritt der nationalistischen konservativen Regierung, linksgerichtete Institutionen unter ihre Kontrolle zu bringen. Mittlerweile kontrollieren Verbündete Orbans weite Teile von Ungarns Wirtschaft, Medien, Hochschulen und Kultureinrichtungen. Vergangenes Jahr war deshalb die Zentraleuropäische Universität (CEU) des aus Ungarn stammenden US-Milliardärs George Soros aus Budapest nach Wien gezogen.
kle/ack (dpa, afp)