Sieben deutsche AKW gehen vom Netz
15. März 2011Die Regierungschefin spricht von einer neuen Lage: Die Entwicklung in Japan sei eine "Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag (15.03.2011) in Berlin. Ihr Umweltminister Norbert Röttgen kündigte eine grundlegende Neubewertung der Atomsicherheit in Deutschland an und CSU-Chef Horst Seehofer fand, man habe mit den Entscheidungen "die richtigen Antworten gegeben auf die Zäsur, die durch Japan zweifelsohne entstanden ist". Bei sieben alten und einem unsicheren Atommeiler zieht die schwarz-gelbe Bundesregierung vorübergehend den Stecker und auch die FDP geht davon aus, dass einige von ihnen nie mehr ans Netz gehen werden.
"Welche Risiken sind wir bereit hinzunehmen?"
Die vorübergehende Abschaltung betrifft die sieben vor 1980 gebauten AKW Neckarwestheim I, Philippsburg I (Baden-Württemberg), Biblis A und B (Hessen), Isar I (Bayern), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Zudem bleibt als achter Meiler das 1983 ans Netz gegangene und nach Pannen abgeschaltete AKW Krümmel in Schleswig-Holstein vom Netz getrennt. Damit liefern in Deutschland in den nächsten drei Monaten nur neun Atomkraftwerke Strom. Die Kernkraftwerke gingen bereits am Dienstag nach und nach vom Netz. Neckarwestheim I, Isar I, Biblis A sowie wahrscheinlich die beiden stillstehenden Anlagen in Schleswig-Holstein sollen nach dem Willen der zuständigen Länder dauerhaft abgeschaltet bleiben.
Damit hat die Katastrophe in Japan den bisherigen Kurs der längeren Laufzeiten vorerst zunichte gemacht. "Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen", sagte Merkel. Die gelernte Physikerin hatte erst vor wenigen Monaten ihren Plan durchgedrückt, den geplanten Atomausstieg in Deutschland um zwölf Jahre in die Zukunft zu verlegen, ohne die Bundesländer am reformierten Atomgesetz zu beteiligen. Am Tage fünf der nuklearen Krise – und anderthalb Wochen vor der wichtigen Landtagswahl in Baden Württemberg - rief sie jedoch die Ministerpräsidenten aller Bundesländer mit Kernkraftwerken zu sich und zog die Reißleine. "Sicherheit ist das, was in allen Betrachtungen Vorrang hat", sagte die Kanzlerin anschließend. Umweltminister Röttgen ergänzte: "Die Kernfrage ist: Welche Risiken sind wir bereit, in Zukunft noch hinzunehmen?" Besonders die Frage eines Flugzeugs, das auf einen Meiler stürzt, müsse neu bewertet werden.
"Abgeschaltet - dauerhaft - und stillgelegt"
Der unzureichende Schutz vor einem Flugzeugabsturz ist auch bei der CSU das alles entscheidende Argument, um den höchst umstrittenen Meiler Isar I vor den Toren Landshuts abzuschalten. Und zwar für immer. Noch im vergangenen Herbst hatte der bayrische Umweltminister Markus Söder die Sicherheit des Atomkraftwerks gerühmt, nun muss er jahrelang eingeübte Argumentationen über den Haufen werfen. Die Welt ist bei der CSU nun eine andere. Ähnlich ergeht es Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus. Der Christdemokrat zählte stets zu den Galionsfiguren der Atombefürworter und ließ keine Zweifel an der Sicherheit des 1976 in Betrieb gegangenen Atomkraftwerks Neckarwestheim I zu. "Ich mache keine Kehrtwende", beteuert der wahlkämpfende Regierungschef und verkündet vor dem Landtag: "Neckarwestheim I wird abgeschaltet - dauerhaft - und stillgelegt." Schleswig-Holsteins Regierungschef Peter Harry Carstensen (CDU) dringt darauf, dass die Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel nicht wieder ans Netz gehen - sie sind derzeit aus Sicherheitsgründen abgeschaltet.
Die Kanzlerin und CDU-Chefin weist den Vorwurf von Wahlkampftaktik zurück. Schwarz-Gelb will jeden Eindruck eines radikalen Schwenks vermeiden und dennoch angemessen auf einen möglichen Super-GAU in Japan und die Folgen reagieren. Die Opposition schimpft trotzdem und stellt die Regierung unter den Generalverdacht, zu täuschen und zu tricksen. Man sei zu einem gemeinsamen Vorgehen zum endgültigen Atom-Ausstieg bereit, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel: "Mit diesem Tricksen und Täuschen muss es vorbei sein". Grünen-Fraktionschefin Renate Künast spricht von "Wahlkampf pur" und "Bankrotterklärung". Wie es mit dem Großteil der alten Meiler Mitte Juni nach Ende der Überprüfungen weitergeht, ist offen. Die Kurse der AKW-Betreiber RWE und Eon verloren mehr als vier Prozent.
Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Marko Langer