Sonny Kittel - HSV-Sündenbock mit Helden-Potential
18. Mai 2022Deutscher Meister war der HSV – und Europapokalsieger. Nur einen Aufstieg in die Bundesliga, den gabs noch nie. Die Relegation gegen Hertha BSC an diesem Donnerstag (19. Mai 2022) und kommenden Montag ist die Chance für Sonny Kittel, sich in die Liste der HSV-Helden einzureihen. Aber das ist kompliziert, wie fast alles beim Hamburger SV in den vergangenen Jahren. Dreimal verpasste der stolze Klub den Aufstieg, teils auf groteske Weise. Und Spielmacher Sonny Kittel mittendrin.
Das Auf und Ab verkörpert er wie kein anderer HSV-Profi. An guten Tagen ist er es, der die Mannschaft trägt. Der Mittelfeldmann ist mit 29 Jahren der älteste Feldspieler im Kader und derjenige der in der 2. Liga die meisten Treffer einleitete. 17 Assists hat er in dieser Saison schon gesammelt, neun Tore selbst erzielt. "Sonny spielt eine herausragende Saison. Die beste, die er für den HSV gespielt hat", sagt Trainer Tim Walter über Kittel. Und die Saison geht in die Verlängerung, nachdem die Hamburger im letzten Spiel den Relegationsplatz sichern konnten und anschließend mit den mitgereisten Fans in Rostock feierten.
Kittels schwieriger Weg
Kittel kennt aber auch die andere Seite. 2021 war er für viele HSV-Fans der Sündenbock, weil das Team erneut auf der Zielgeraden den schon fast sicher geglaubten Aufstieg verdaddelte. Immer mal wieder liefert er eine schwache Partie ab und zieht Kritik auf sich. Wie im April bei der Heimniederlage gegen Paderborn, als er für seine Leistung von einem Fußballmagazin eine glatte Sechs kassierte. Im TV-Interview gab er sich davon aber ungerührt: "Ich lese so etwas nicht und halte das von mir fern. Ich selbst bin mein härtester Kritiker." Wegen der Anfeindungen hatte er schon im vergangenen Jahr sein Instagram-Profil mit rund 30.000 Followern gelöscht. Kittel ist keiner, der die große Öffentlichkeit braucht.
Das hat vielleicht auch mit seiner Geschichte zu tun. In einfachen Verhältnissen in Gießen aufgewachsen, muss ihn seine alleinerziehende Mutter oft zum Junioren-Training bei Eintracht Frankfurt karren. 2010 bekommt er dort seinen ersten Profivertrag. Als seine Karriere gerade Fahrt aufnimmt, stoppen ihn schwere Knieverletzungen. Zwei Kreuzbandrisse und Knorpelschäden müssen operiert werden. Die Reha kostet Zeit. Zwischenzeitlich ist Kittel nahe dran, Sportinvalide zu werden. "Ich habe mitbekommen, wie Leute gesagt haben: 'Der Junge schaffts nicht mehr' ", erzählt er im HSV-Podcast von dieser schwierigen Zeit. Für sich allein, nur unterstützt von seiner Familie kämpft er sich wieder aus diesem Tief heraus. "Der Glaube, die Liebe zum Spiel, die Motivation war doch größer als die Zweifel." Mit seinem Wechsel von Ingolstadt nach Hamburg 2016 gelingt ihm der sportliche Durchbruch.
Beim HSV zum Führungsspieler gereift
"Zidane und Ronaldinho waren immer in meinem Kopf. Später kam Ronaldo mit seinen Freistößen dazu, das wollte ich auch können", blickt er auf seine fußballerischen Vorbilder zurück. Heute zählt er mit seiner Technik und als Freistoßschütze zu den herausragenden Spielern der 2. Liga. "Er ist einer, der den Unterschied machen kann", sagte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt am Anfang der Saison über Kittel: "Und das erwarten wir auch von ihm."
Ganz besonders dürfte das für die kommenden beiden Relegationsspiele gelten. Nach drei Jahren auf dem vierten Platz will das Team den Aufstieg schaffen. "Ganz klar. Wir glauben fest dran", formuliert Teamkollege Robert Glatzel die Einstellung des HSV. Der Hamburger Toptorjäger ist dafür vor allem auf eines angewiesen: perfekte Vorlagen eines gut aufgelegten Sonny Kittel.