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PolitikEuropa

Spionage und Gewalt durch Behörden

Hilal Köylü | Daniel Derya Bellut
10. November 2020

Machtmissbrauch durch Beamte und Polizisten gegen die Zivilbevölkerung ist in der Türkei offenbar an der Tagesordnung. Die diesjährige Studie des Menschenrechtsvereins İHD liefert alarmierende Belege.

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Symbolbild Türkei Polizei Festnahmen
Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Ozbilici

Am 18. September 2020 geht in der Izmir-Filiale des türkischen Menschenrechtsvereins İHD wie so oft in diesem Jahr eine Beschwerde über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen durch Staatsbeamte ein. Der Sprecher der linksgerichteten HDP-Jugendorganisation Serhat Aktumur wird in der südostanatolischen Provinz Diyarbakir an einer Kreuzung von drei Personen des türkischen Geheimdienstes MIT abgefangen. Nach Aussagen Aktumurs wollten die MIT-Beamten mit ihm ein Gespräch führen, was er jedoch ablehnte. Daher hätten sie ihn geschlagen und gezwungen, in ein Auto einzusteigen. Sie hätten ihn nach einer Weile mit verbundenen Augen irgendwo an einem Waldrand aus dem Wagen geworfen. "Wenn wir dich hier wiedersehen, werden wir dir in den Kopf schießen", hätte einer der Beamten ihn gewarnt.

In seiner jährlich erscheinenden Studie untersucht der in Ankara ansässige Menschenrechtsverein İnsan Hakları Derneği (İHD) Vorfälle, bei denen Beamte während der Ermittlungen Zeugen und Beschuldigte mutmaßlich unter Druck gesetzt oder ihnen gedroht haben. Darüber hinaus untersucht der Verein in der diesjährigen Studie mutmaßliche Fälle von Spionage und Entführungen durch türkische Sicherheitskräfte.

220 Mal behördlicher Machtmissbrauch

Offensichtlich ist die Entführung an der Kreuzung in Diyabakir kein Einzelfall: 220 Beschwerden dokumentiert der İHD in seinem diesjährigen Bericht. Beispielsweise gaben zehn Personen an, dass sie von Beamten ausspioniert oder bedroht und dann ohne offizielle Anordnung wieder freigelassen wurden. 72 Personen gaben an, dass sie außerhalb der Haft Spionage und Drohungen ausgesetzt gewesen seien. Vier Personen meldeten, dass sie im Gefängnis von Sicherheitsbeamten ausspioniert wurden. Und 29 Personen beschwerten sich, dass sie in sozialen Medien bedroht worden seien.

Besonders alarmierend ist laut İHD-Bericht, dass zunehmend Mitglieder der oppositionellen prokurdischen HDP, der drittgrößten Partei der Türkei, bedroht oder unter Druck gesetzt würden – was Vorfälle wie die Entführung des Nachwuchspolitikers Serhat Aktumur belegten. 

Der Vorsitzende der iHD Öztürk Türkdoğan (links)
Der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins İHD , Öztürk Türkdoğan (links)Bild: IHD

Der Vorsitzende der İHD, Öztürk Türkdoğan, berichtet gegenüber der DW, Aktumur werde nun dazu gedrängt, seine Aussage zu der Entführung zurückzuziehen. "Das ist wirklich ernst. Dass ein Vorstandsmitglied einer politischen Partei bedroht wird, zeigt, dass die Situation wirklich schlimm ist." Wie in dem Bericht zu entnehmen ist, ist dies kein Einzelfall: Es habe in der Vergangenheit viele Fälle gegeben, bei denen "die Opfer von den Tätern bedroht werden, nachdem sie sich an den iHD gewendet haben".

"Wir wollen dem ein Ende setzen"

"Wir wollen mit unserer Arbeit dafür sorgen, dass die zuständigen Ausschüsse des türkischen Parlaments, das Innenministerium und die Strafverfolgung ihrer Pflicht nachkommen, solchen Fällen konsequent nachzugehen. Uns ist es ein Anliegen, auf diese schrecklichen Zustände hinzuweisen, um ihnen ein Ende zu setzen“, so der İHD-Vorsitzende Türkdogan.

Nach eigenen Angaben hat der İHD zwar seinen Bericht an das Innenministerium sowie die ihm untergeordnete Überwachungskommission der Strafverfolgung und an den parlamentarischen Ausschuss für Menschenrechte geschickt. Der Verein fordert, dass die "Beschwerden auf wirksame Weise untersucht werden, die Täter identifiziert und vor Gericht gestellt werden".

Besonders das Justizministerium und der Rat der Richter und Staatsanwälte müssten ihrer Verantwortung besser nachkommen, heißt es. In dem letzten Abschnitt der Studie "Schlussfolgerungen und Vorschläge" werden zudem die Staatsanwälte aufgefordert, die mutmaßlichen Entführungs- und Spionageaktivitäten von Beamten nicht zu verschweigen.

Hilfe aus dem Ausland

Bisher haben weder das Justiz- noch das Innenministerien auf die Anfragen des İHD sowie von Anwälten und Journalisten reagiert, berichtet der Menschenrechtsverein. Nach Aussagen des HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu seien zudem 13 parlamentarische Anfragen unbeantwortet geblieben. Der İHD hofft nun auf Unterstützung durch internationale Organisationen wie den Europarat und die zuständigen Organe der Vereinten Nationen, mit denen man bereits Kontakt aufgenommen habe.