Starkes Misstrauen gegenüber der NATO in der Ukraine
28. September 2006Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko ist für einen schnellstmöglichen Beitritt seines Landes zur NATO. Der neue Premier Wiktor Janukowytsch möchte sich lieber nicht beeilen. Da die ukrainischen Politiker nicht in der Lage sind, sich zu einigen, beschlossen sie, die Verantwortung auf die Wähler zu übertragen – sie sollen bei einem Referendum befragt werden. Doch die meisten Menschen wissen kaum etwas über das Bündnis, dem ihr Land beitreten will.
Mehrheit gegen NATO-Beitritt
Das Ergebnis einer landesweiten Umfrage, die zwischen dem 12. und 19. September vom Ukrainischen Jaremenko-Institut für soziale Studien und dem Zentrum "Soziales Monitoring" durchgeführt wurde, hat ergeben, dass heute bei einem Referendum lediglich 20 Prozent der Befragten für einen NATO-Beitritt stimmen würden. Gegen einen Beitritt des Landes zur Nordatlantischen Allianz würden 61 Prozent votieren.
Zum Vergleich: Vor zwei Jahren hätte jeder vierte Ukrainer für einen Beitritt zur Allianz gestimmt, dagegen waren damals 42 Prozent. Über den spürbaren Anstieg der Gegner eines NATO-Beitritts sagte der Deutschen Welle die Leiterin des Ukrainischen Jaremenko-Instituts für soziale Studien, Olha Balakirjewa: "In keiner Altersgruppe gibt es eine positive Bilanz. Die einzige Region, wo es eine positive Haltung, ein Vertrauen zur NATO gibt, das ist die westliche Region. Das ist wiederum die Region, wo das Bündnis Unsere Ukraine und Präsident Juschtschenko persönlich Unterstützung genießen. Wir stellen fest, dass ein großer Teil der Menschen im Zentrum, im Westen, im Norden und in Kiew unentschieden, und im Osten, im Süden und auf der Krim festgelegt sind."
Keine Informationen für die Bevölkerung
Diese Stimmung führen Beobachter darauf zurück, dass über den Beitritt zur NATO politisch heftig spekuliert wird. Andererseits ist es paradox, dass unter einem klar prowestlichen Präsidenten das Vertrauen in die NATO sogar geringer ausfällt als unter der Regierung Leonid Kutschmas. Beobachter stellen fest, dass die Aufklärungsarbeit des Staates, der den Beitritt zur EU und NATO zu seinen strategischen Zielen erklärt hat, wenig effektiv ist. Denn sogar im Westen der Ukraine liegt die Anzahl derer, die der NATO vertrauen, unter 50 Prozent. Vom Osten der Ukraine oder der Krim ganz zu schweigen. Meinungsforscherin Olha Balakirjewa erklärt das so: "Die Tatsache, dass sich heute auf der Krim keiner der Befragten für die NATO ausgesprochen hat, ist die Folge jener ‚Trampel-Politik‘ vor den Militärübungen im Juni, die ja sogar abgebrochen werden mussten. Es gab überhaupt keine Informationen für die Bevölkerung. Zwischen der Staatsmacht und dem Volk herrscht eine so große Kluft, dass die Staatsmacht heute Beschlüsse fasst und nicht daran denkt, den Menschen zu erläutern, warum sie so vorgeht und was dies bedeuten wird."
Image von Faschismus und Gestapo
Übrigens hat das Parlament der Autonomen Republik Krim seinen Beschluss, mit dem es die Krim im Sommer zur NATO-freien-Zone erklärt hatte, nicht aufgehoben. Unterdessen vernachlässige die zentrale Staatsmacht die Aufklärungsarbeit, gibt der Vertreter des Präsidenten der Ukraine auf der Krim, Hennadij Moskal, zu: "Heute kennen 99 Prozent der Menschen auf der Krim die NATO nur aus den Losungen von Frau Witrenko, der Führerin der Progressiven Sozialistischen Partei. Demnach bedeutet die NATO Faschismus und Gestapo. Mehr wissen die Menschen nicht, weil die staatliche Aufklärung über die NATO nicht funktioniert. Sie funktioniert aber auch über die EU nicht."
Bessere Informationskampagnen geplant
In Brüssel sprach Wiktor Janukowytsch viel über die Notwendigkeit, die Ukrainer besser über die NATO zu informieren. Der heutige Regierungschef wird schon bald unter Beweis stellen können, ob er wirklich möchte, dass die Ukrainer objektivere Informationen über die Nordatlantische Allianz erhalten. Es wird interessant sein, wie viel Geld im Staatshaushalt des nächsten Jahres für die Informationskampagne zur Verfügung gestellt wird. Übrigens sind die über fünf Millionen Hrywnja, die im diesjährigen Etat für Informationsmaterial über die EU und NATO eingeplant sind, immer noch nicht ausgegeben. Eine entsprechende Ausschreibung hat das Staatskomitees für Rundfunk allerdings erst Ende August dieses Jahres veröffentlicht.
Iwan Hajwanowytsch
DW-RADIO/Ukrainisch, 27.9.2006, Fokus Ost-Südost