Steht Obama vor katastrophaler Niederlage?
8. Oktober 2014Der Sender CNN zitiert ungenannte Topbeamte aus dem Umfeld Präsident Obamas, die fest von der Eroberung der kurdischen Grenzstadt im Norden Syriens durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" ausgehen. Auch General Martin Dempsey, Amerikas oberster Soldat, sagte gegenüber dem Sender ABC: "Ich fürchte, Kobane wird fallen", ohne den eingeschlossenen Kämpfern irgendeine Hoffnung zu machen. US-Außenminister Kerry stellte am Mittwoch klar, dass der Schutz Kobanes kein strategisches Ziel der USA sei. So grauenhaft die Ereignisse um Kobane auch seien, "die wirklichen Ziele unserer Bemühungen sind die Kommandozentren und die Infrastruktur" des IS.
Dennoch haben die US-Streitkräfte gemeinsam mit ihren Verbündeten die Luftschläge rund um Kobane in den letzten Tagen stark ausgeweitet, ohne jedoch den Vormarsch des IS aufzuhalten. Die Washington Post hat in bislang ungekannter Schärfe konstatiert, dass die USA "vor einer katastrophalen Niederlage stehen, in einem Krieg, den Obama mit Übervorsicht, Restriktionen und unsinnigen Selbstbeschränkungen" begonnen hätte.
Falsche Strategie?
Dagegen will Mike O'Hanlan von der Brookings Institution die Kämpfe um Kobane und die bisher eher wirkungslosen US-Luftschläge nicht als Beleg für eine gescheiterte Strategie gelten lassen: "Der einfache Fakt, dass eine weitere Stadt fällt, so tragisch das wäre, ist nicht ein Beweis dafür, dass die Strategie falsch ist."
Anders urteilt der Nahost-Experte Jim Phillips vom konservativen Washingtoner Thinktank Heritage Foundation im Gespräch mit der Deutschen Welle. Obamas Strategie "ist auf dem Weg zu scheitern." Aber auch er sagt, es bleibe abzuwarten, ob die Luftschläge, "insbesondere nachdem sie verstärkt wurden, nicht doch noch einen bemerkbaren Effekt haben".
Mehr als Luftschläge
Für Phillips ist allerdings jetzt schon klar, dass Bomben alleine nicht den gewünschten Effekt haben, den "Islamischen Staat" zu bekämpfen und zu zerstören: "Ohne bessere Aufklärung auf dem Boden werden die Luftschläge nicht die entscheidende Wirkung haben, wie die Administration das viele Amerikaner glauben lässt".
Anders als im Irak fehlen den USA in Syrien dafür aber die Voraussetzungen: "In Syrien ist es strategisch viel schwieriger, zu operieren, weil es keine wirklichen US-Verbündeten am Boden gibt", die Luftschläge vorbereiten und begleiten könnten, sagt Phillips. Auch wenn die Priorität der gegenwärtigen US-Strategie "definitiv der Irak ist", gelte weiterhin die Analyse des US-Militärs, dass es "entscheidend ist, dem IS Rückzugsmöglichkeiten in Syrien abzuschneiden, damit man im Irak gewinnen kann. Die beiden strategischen Felder sind miteinander untrennbar verbunden."
Langer Weg in Syrien
Für Mike O'Hanlon von Brookings ist das aber noch keine ausgereifte Syrien-Strategie. "Wir planen allenfalls die Bildung einer 5000 Mann starken syrischen Kampfeinheit innerhalb eines 12-monatigen Trainings". Das könne angesichts der Übermacht von IS und der immer noch starken Militärmacht des syrischen Präsidenten Assad allenfalls ein Anfang sein. "Und so würde ich sagen, dass die Strategie noch einen stark vorläufigen Charakter hat. In Syrien werden wir noch einen langen Weg gehen."
Dabei ist die Furcht der Amerikaner trotz aller Zusicherungen Präsident Obamas groß, dass die USA wieder in einen neuen Krieg verwickelt werden. "Wird Syrien das Vietnam Obamas?", fragte denn auch die New York Times dieser Tage in einem Leitartikel, in dem sie die Befürchtungen vieler Amerikaner artikuliert. Die Zeitung ermutigt den Präsidenten, trotz aller schmerzhaften Rückschläge und gegenteiliger Ratschläge der Militärs vorsichtig zu bleiben.
Jimmy Carter verurteilt Obamas Zögerlichkeit
Obamas intellektuell, aber auch instinktiv gesteuerte Zurückhaltung stößt bei Republikanern wie Senator John McCain, aber auch bei Nahostexperten wie Jim Phillips auf Kritik, weil sie ihn wichtiger Optionen beraube: "Das Weiße Haus weigert sich immer noch, den Einsatz von amerikanischen Soldaten auf dem Boden zu prüfen. Es argumentiert, dass andere wie die syrischen moderaten Rebellen dieses Vakuum am Ende füllen könnten", sagt Phillips. Doch Kobane zeige überdeutlich, dass Bomben alleine die Ausbreitung des Islamischen Staates nicht verhindern."
In den Chor der Obama-Kritiker hat jetzt auch der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter eingestimmt und seinem Nachfolger vorgeworfen, er habe durch sein Zögern erst den Vormarsch des IS ermöglicht. Spätestens jetzt, wo auch der für seine Zögerlichkeit bekannte Carter mehr Tatkraft fordere, werde es für Obama Zeit, seine Kriegsstrategie zu überdenken, kommentieren die amerikanischen Medien mit einiger Süffisanz.
Die Verantwortung der anderen
Die Verantwortung für die weitgehende Wirkungslosigkeit der Luftschläge weisen Obama-Vertraute vor allem anderen zu. Auch Mike O'Hanlon von Brookings kritisiert, dass die USA weitgehend alleine die Last des Kampfes tragen müssten. "Offensichtlich wollen die meisten NATO-Länder und arabischen Verbündeten nicht viel tun". Er nennt in diesem Zusammenhang auch Deutschland, das erst jüngst angekündigt hatte, künftig mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen zu wollen.
Doch nicht Deutschland, sondern die Türkei und ihr Präsident Recep Tayyip Erdogan stehen gegenwärtig im Fokus der Kritik. Die Obama-Regierung macht laut Washington Post die "türkische Untätigkeit" dafür verantwortlich, dass der IS in Syrien weiter so erfolgreich agieren kann. Präsident Erdogan hätte weder den Zustrom der ausländischen Kämpfer über die türkisch-syrische Grenze wirkungsvoll gedrosselt, noch die Ölgeschäfte des IS auf türkischem Territorium unterbunden. "Unglücklicherweise sieht Präsident Erdogan in den syrischen Kurden, von denen viele mit der PKK innerhalb der Türkei verbunden sind, eine größere Gefahr als im Islamischen Staat", erklärt Jim Phillips das Verhalten Erdogans.
Obama zum Scheitern verurteilt
Er vermutet, dass es im Hintergrund Verhandlungen zwischen Washington und Ankara über eine wirkungsvolle Antwort auf Kobane gebe, bei denen Erdogan vermutlich zu viel wolle: Nicht nur eine Flugverbotszone, sondern auch Luftschläge gegen das Assad Regime. "Das Weiße Haus will nicht soweit gehen. Es hätte gerne eine militärische Kooperation mit der Türkei, ohne seine eigene Militärkampagne auf Assads Truppen auszuweiten". Dabei tritt der türkische Präsident als scharfer Kritiker Obamas in die Arena: "Wenn ich es richtig einschätze, scheint Erdogan zu sagen, dass Obamas Strategie zum Scheitern verurteilt ist".
Die Antwort aus dem Weißen Haus, von der er Wind bekommen habe, sei allerdings noch verstörender, so Phillips: "Kobani ist viel weiter entfernt von Washington als von Ankara. Wenn die Türkei damit leben kann, dann auch die USA."