Steinmeier und Schäuble warnen vor Vorurteilen
23. September 2018Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble haben für einen friedlichen Dialog und mehr Realismus in Politik plädiert. Das "tägliche Feuerwerk von Beschimpfungen und Beleidigungen" lasse "die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen zusehends verschwimmen", beklagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf der Veranstaltung "Deutschland spricht" von "Zeit Online" in Berlin. In politischen Debatten, aber auch auf der Straße gelte immer öfter: "Deutschland spricht nicht, Deutschland brüllt."
"Die Fliehkräfte wirken lange nicht mehr nur in Internetforen, sondern auf offener Straße", betonte der Bundespräsident: "Aus gesellschaftlichen Haarrissen sind tiefe Gräben geworden." Auf deutschen Straßen zeigten sich Wut und Protest, Hass und Gewaltausbrüche. Auch der digitale Austausch trage zu "Verrohung und Enthemmung" bei: "Die Kommunikationsexplosion im Netz bedeutet jedenfalls nicht nur mehr Kommunikation - was an sich ja zu begrüßen ist -, sondern vor allem lauter, schriller."
Frontalangriff auf die Demokratie
Steinmeier kritisierte in seiner Rede, dass mitunter sogar "die Existenzberechtigung des Anderen in Abrede gestellt wird" - bis hin zur "selbstbewusst vorgetragenen Verächtlichmachung unserer politischen Ordnung als "System"". Das sei jedoch "in der Regel nichts anderes als ein Frontalangriff auf die liberale Demokratie und ihre Institutionen". Wer andere herabwürdige, bedrohe, ihnen Zugehörigkeit und Gleichberechtigung abspreche, zerstöre die Gesprächsgrundlage, die er für sich selbst in Anspruch nehme. "Wo immer das geschieht und ganz gleich von wem, da müssen wir einschreiten!"
"Krawallprofis machen in immer mehr deutschen Städten Schlagzeilen", kritisierte der Bundespräsident: "Chemnitz und Köthen haben uns in den letzten Tagen besonders beschäftigt." Nur Ostdeutschland in den Blick zu nehmen, sei jedoch unredlich. Ebenso einseitig sei es, den Blick nur nach rechts zu richten. Die Gewalttätigkeiten beim G20-Gipfel in Hamburg seien "sicherlich auch kein Angebot zum respektvollen, ergebnisoffenen Dialog" gewesen.
Schäuble mahnt
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warnte derweil mit Blick auf die rechtsextremen Vorfälle in Chemnitz und Köthen davor, den Radikalismus auf die Prägungen der ehemaligen DDR-Bevölkerung zurückzuführen. "Ich akzeptiere nicht, dass daraus ein Ost-West-Problem gemacht wird", sagte Schäuble der "Welt am Sonntag": "Ein erheblicher Teil der Drahtzieher dieses Gedankenguts kommt aus dem Westen."
Der CDU-Politiker verwies auf ähnliche Vorfälle in Kandel in der Pfalz. Dort hatte im Dezember 2017 nach Überzeugung des Landgerichts Landau ein aus Afghanistan stammender Flüchtling seine Ex-Freundin erstochen. Seither kommt es immer wieder zu Demonstrationen. Kein Mensch komme deshalb auf die Idee zu fragen, was die Pfalz falsch gemacht habe, weil es dort zu derartigen Kundgebungen komme. "Ich sehe keinen Unterschied zwischen Kandel und Köthen", sagte Schäuble. Auch im sächsischen Chemnitz und in Köthen in Sachsen-Anhalt gibt es seit Wochen Kundgebungen, unter die sich auch viele Rechtsextreme mischen. In beiden Städten wurden mehrfach der Hitlergruß gezeigt und ausländerfeindliche Parolen skandiert.
Mehr in Integration investieren
Schäuble sprach sich für mehr Realismus in der Flüchtlingsdebatte aus. "Wir sollten uns klar machen, wie schwer es ist, im Einzelfall abzuschieben. Deswegen sollten wir auch nicht allzu stark die Hoffnung schüren, dass wir die Großzahl dieser Menschen zurückführen können", sagte Schäuble mit Blick auf die Einreise Hunderttausender Migranten seit 2015. "Eher sollten wir alle Kraft dafür aufbringen, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren."
Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Vorstoß von Schäuble müsse ein grundsätzliches Umdenken zur Folge haben. "Integration scheitert bisher daran, dass Ausbildungs- und Arbeitsverbote verhängt werden." Betriebe und Betroffene brauchten aber Rechtssicherheit. "Arbeitgeber müssen sichergehen können, dass die Person, die gerade eine Ausbildung macht oder eine Arbeit begonnen hat, morgen noch im Land ist."
kle/haz (dpa, epd)