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Streit um Vollverschleierung in bulgarischer Stadt

Tatiana Vaksberg / Alexander Andreev 7. August 2016

Pasardschik hat als erste Stadt Bulgariens ein Verbot der Ganzkörperverschleierung eingeführt. Einige muslimische Frauen verlassen deshalb kaum mehr das Haus. Tatiana Vaksberg hat sie besucht.

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Die "Abu Bekir"-Moschee in der bulgarischen Stadt Pasardschik (Foto: Vaksberg/DW)
Die "Abu Bekir"-Moschee in PasardschikBild: DW/T. Vaksberg

Die 16-jährige Melissa Kartalova ist ein großes Risiko eingegangen: Vor einigen Tagen hat sie vollverschleiert das Haus verlassen und ist in das Auto eines Verwandten eingestiegen. Kurz darauf wurde das Fahrzeug von einem Polizisten angehalten, der Melissa auf die Polizeiwache brachte.

Vor einigen Monaten hat Pasardschik ein Verbot der Vollverschleierung eingeführt. Zwar war die Ganzkörperverschleierung in den 1980er Jahren im kommunistischen Bulgarien auch schon verboten, aber seit 1990 ist sie auf nationaler Ebene wieder erlaubt. Das ist in Pasardschik jetzt anders: Frauen, die in einem Ganzkörpergewand mit einem Augenschlitz - wie dem Niqab - auf die Straße gehen, müssen eine Strafe von umgerechnet 150 Euro bezahlen. Bei einer "Wiederholungstat" beträgt die Strafe schon 500 Euro - das ist mehr als der bulgarische Durchschnittslohn.

"Bei der Polizei verlangte der Beamte, dass ich den Niqab ausziehe", erzählt Melissa, die die Strafe schon bezahlt hat. Sie könne ihre Schamgefühle kaum in Worte fassen, als sie vor lauter männlichen Polizisten ihr Gesicht zeigen musste, fügt sie hinzu. Eine gezielte Demütigung, meint die 40-jährige Muslima Svetla, die neben Melissa im Frauenraum der Moschee "Abu Bekir" in Pasardschik auf dem Boden sitzt. Insgesamt würden 30 Frauen aus der Gemeinde genau wie Svetla und Melissa einen Niqab tragen. Sieben oder acht von ihnen hätten bereits dafür Strafe gezahlt, sagen die beiden Frauen, die sich von der DW-Reporterin auf keinen Fall fotografieren lassen wollen.

Männer drängen ihre Frauen dazu, den Niqab abzulegen

Polizeichef Ivan Gentschev wollte diese Angaben weder bestätigen noch dementieren. "Ich kenne die Traditionen, die Sitten, die Religion und das Leben dieser Menschen, will aber dazu keinen Kommentar abgeben", sagte er auf Anfrage der DW.

Der Hof der Moschee in der bulgarischen Stadt Pasardschik (Foto: Vaksberg/DW)
Der Hof der Moschee: Nicht einmal hier halten sich Melissa und Svetla unbeschwert auf, seit das Verbot in Kraft istBild: DW/T. Vaksberg

In der Roma-Siedlung von Pasardschik leben etwa 30.000 Menschen. Zwei Drittel von ihnen sind nach eigenen Angaben türkischsprachige Muslime. Ihre Moschee "Abu Bekir" wurde in Bulgarien im Zusammenhang mit einem Prozess wegen "Verbreitung von radikalem Islamismus" bekannt - gegen 14 muslimische Geistliche, die in ihrem Umfeld gepredigt haben. Einer der Angeklagten ist Ahmed Mussa, der Ehemann von Svetla, der seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Anfangs hat ihn Svetla regelmäßig besucht - später nicht mehr: "Zuerst waren es Frauen, die die Leibesvisitation gemacht haben. Jetzt aber sind es nur Männer", sagt Svetla. "Ich kann mir nicht vorstellen, den Niqab in ihrer Anwesenheit auszuziehen, geschweige denn, sie die Leibesvisitation durchführen zu lassen. Also muss ich zuhause bleiben."

Seit die Vollverschleierung verboten ist, bleiben die Frauen von Pasardschik, die einen Niqab tragen, generell eher zu Hause. Die Ehemänner würden sie mittlerweile dazu drängen, auf die Vollverschleierung zu verzichten: "Sie sind einfach überfordert, wenn die Frauen weder einkaufen gehen noch die Kinder zur Schule bringen", sagt Svetla. "Kann man denn überhaupt so leben, wenn draußen vor der Tür dauernd die Polizei lauert?"

"Wer so herumläuft, könnte alles verstecken"

Das sehen nicht alle Muslime in Pasardschik so. "Nie im Leben" würde er verstehen, wieso Frauen die Vollverschleierung brauchen, sagt ein muslimischer Café-Besitzer nicht weit von der "Abu Bekir"-Moschee. Er selbst besuche eine andere Moschee in der Innenstadt, wo es "solche Sachen" überhaupt nicht gebe. Ob er das Verbot der Vollverschleierung richtig findet? Er zuckt mit den Schultern. "Lass sie herumlaufen, wie sie wollen." Das sehen zwei Brüder in einer Autowerkstatt in der Innenstadt anders: Das Verbot sei eine Sicherheitsmaßnahme: "Wenn jemand so herumläuft, könnte er darunter alles verstecken. Bomben und so."

In Pasardschik sind viele muslimische Frauen zu sehen, die westlich gekleidet sind. Die Verhüllung der Frau werde im Koran zweimal erwähnt, sagt der 32-jährige Imam Ali Selim aus der bulgarischen Stadt. Zwei der vier wichtigsten Koran-Deuter meinten allerdings, dass das Gesicht der Frauen unverhüllt bleiben dürfe, so Selim. In der muslimischen Gemeinde in Pasardschik, zu der insgesamt etwa 20.000 Menschen gehören, gibt es offensichtlich Vertreter verschiedener Deutungen. Einig sind sich aber alle darüber, was in Pasardschik in den letzten 50 Jahren in Sachen "Ganzkörperverhüllung" passiert ist. In den 1970er Jahren verschwand der Niqab langsam aus dem Straßenbild. In den 1980ern folgte das Verbot der "muslimischen Bekleidung in allen unterschiedlichen Varianten" durch die Kommunisten, zu der unter anderem auch bestimmte männliche Kopfbedeckungen gehörten. Das war ein Teil der Repressalien der Machthaber gegen die muslimische Minderheit. Wieder aufgetaucht ist der Niqab Mitte der 1990er Jahren, als Yaschar Mustafa und Ahmed Mussa gemeinsam mit einigen Nachbarn die neue Moschee in der Stadt gründeten. Seitdem hat sich die Ganzkörperverhüllung aber insgesamt nicht sehr stark verbreitet, meinen die Gesprächspartner aus der bulgarischen Stadt.