Syrische Flüchtlinge: Aus dem Libanon nach Deutschland
9. September 2013Khairiye ist mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern dabei, wenn die erste Gruppe von syrischen Flüchtlingen von Beirut nach Hannover fliegt. Dort sollen die Syrer zunächst im Durchgangslager Friedland untergebracht werden. Khairiye stellt sich vor, dass sie in der Heimat auf Zeit ein gutes Leben haben wird: "Deutschland ist ein zivilisiertes Land, wo die Menschen respektiert werden."
Die 51-jährige Khairiye (Name von der Redaktion geändert) stammt aus der mittelsyrischen Stadt Homs. Nachdem ihre Tochter dort während der Kämpfe eine Kopfverletzung erlitten hatte, floh sie mit ihr und dem Rest der Familie in den Libanon. Ihre Tochter konnte sich von ihren Verletzungen nie erholen - sie ist gelähmt. Vor der Abreise in die Bundesrepublik werden Khairiye und die anderen Flüchtlinge von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betreut - auch medizinisch. Die UN-Organisation arbeitet eng mit den deutschen Behörden zusammen.
Erste Orientierungshilfe
"Wir organisieren Treffen mit den deutschen Behörden und kümmern uns um die Reisedokumente", erklärt Samantha Donkin von der IOM. Die Mitarbeiter der Organisation beantworten Fragen über das Leben in Deutschland und versuchen, die Flüchtlinge so gut wie möglich darauf vorzubereiten.
Die 109 Frauen, Kinder und Männer, die am Mittwoch (11.09.2013) in Hannover landen werden, erfüllen die Bedingungen, die das Bundesinnenministerium für die vorübergehende Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland festgelegt hat. Demnach müssen sie sich bis zum 31.03.2013 in Beirut beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) registriert haben. Darüber hinaus hat das Bundesinnenministerium Kriterien aufgestellt, nach denen die Flüchtlinge ausgesucht werden sollen: Dazu zählen Schutzbedürftigkeit, Familienangehörige in Deutschland und Qualifikationen, die sie im Gastland ausbauen können.
Am 31.03.2013 waren mehr als eine halbe Million Syrer beim UNHCR in Beirut registriert, das Flüchtlingswerk in Beirut hat 4000 ausgewählt. Weitere 1000 Syrer werden über Anträge ausgesucht, die ihre in Deutschland lebenden Familienmitglieder auf der Website der deutschen Sektion des UNHCR ausgefüllt haben. Die letzte Entscheidung liegt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF.
Schwierige Auswahl
Das Auswahlverfahren in Beirut sei noch nicht abgeschlossen, sagt Dana Sleiman, Pressesprecherin des UNHCR in der libanesischen Hauptstadt. Die Auswahl gestalte sich sehr schwierig, denn das Kriterium der Schutzbedürftigkeit treffe auf die meisten Menschen zu. "Dem Großteil der syrischen Flüchtlinge im Libanon, die sich bei uns registrieren lassen, geht es schlecht. Sie leben unter schwierigen Bedingungen und brauchen Unterstützung."
Trotzdem werde das UNHCR Härtefälle auswählen, wie etwa alleinstehende Kinder, alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern oder Flüchtlinge mit gesundheitlichen Problemen, sagt Sleiman. Das trifft auf Khairiye und ihre Familie zu.
Nach den vom Bundesinnenministerium aufgestellten Kriterien spielt bei der Auswahl auch die religiöse Verfolgung von Minderheiten eine Rolle. Doch Sleiman weist darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu einer Minderheit allein kein Auswahlkriterium sei. Und Samantha Donkin von IOM sagt, dass zwar mehrere Flüchtlinge, die Minderheiten angehören, mit der ersten Gruppe nach Deutschland reisen werden: "Aber es liegen eine Reihe von Kriterien für ihre Auswahl zugrunde. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist nur eines davon."
Kritik an Informationspolitik
Das deutsche Programm zur Aufnahme von syrischen Flüchtlingen hat unter den Syrern im Libanon für Unruhe und Ratlosigkeit gesorgt. Seit Monaten kursieren Gerüchte darüber, doch es fehlt an ausreichenden Informationen. Viele der Flüchtlinge klagen über ihre vergeblichen Versuche, beim UNHCR und bei der deutschen Botschaft in Beirut Näheres zu erfahren. Auf den Websites dieser Institutionen gibt es keine Details zum Programm. Dieses sehe vor, dass dem Flüchtling mitgeteilt wird, dass er ausgewählt wurde, gibt Dana Sleiman zu bedenken. Er könne nicht selber sein Interesse bekunden oder einen Antrag stellen.
Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, kritisieren diese Informationspolitik - zum Beispiel Abed Al Aziz Aidy, Leiter des Beiruter Büros der deutsch-syrischen Hilfsorganisation Najda Now, die sich für syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern einsetzt. Aidy wundert sich, dass er nicht von offizieller deutscher Seite kontaktiert wurde: "Wir arbeiten täglich mit syrischen Flüchtlingen im Libanon zusammen und kennen ihre Situation. Wir könnten Härtefälle vorschlagen."
Aidy denkt dabei unter anderem an eine 18-jährige schwangere Syrerin aus Aleppo, die mit zwei Kindern in Beirut gestrandet ist. Die Mitarbeiter von Najda Now haben sie auf der Straße gefunden und betreuen sie.
Er begrüßt zwar das deutsche Programm für syrische Flüchtlinge. Doch angesichts der Hunderttausenden von vertriebenen Syrern seien die 5000, die in Deutschland aufgenommen werden sollen, eine sehr kleine Gruppe. Viele Syrer würden sich illegal auf den Weg nach Europa machen, befürchtet er.