Tanz oder stirb: Der Tänzer Ahmad Joudeh
29. April 2019Ahmad Joudeh, geboren im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk am Rande der syrischen Hauptstadt Damaskus, weiß, wie man schwierige Situationen meistert. Das Tanzen brachte er sich selbst bei - und schaffte es sogar mit 16 ins "Enana Dance Theater", die Ballettkompanie von Damaskus.
Aber der Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs fünf Jahre später (2011) hatte verheerende Folgen für ihn und seine Familie. Fünf von Joudehs Verwandten kommen ums Leben. Das Familienhaus: zerstört durch eine Bombe. Und Joudeh, der tanzt, wird von den Extremisten bedroht. Daher sein Tattoo im Nacken: "Tanz oder stirb".
Inzwischen lebt der 29-Jährige in den Niederlanden, ist jedoch auf Bühnen in ganz Europa zu sehen - zur Zeit in Norwegen, am Kilden Performing Arts Centre. Von dort aus hat er der DW seine bemerkenswerte Geschichte erzählt.
Deutsche Welle: Herr Joudeh, wie sind Sie zum Tanzen gekommen? Gab es einen bestimmten Moment oder eine bestimmte Situation, in der Sie sich entschieden haben, Tänzer zu werden?
Ahmad Joudeh: Das Tanzen hat mich schon mit acht Jahren fasziniert, als ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Ballettaufführung sah. Ich habe angefangen, das Zuhause zu imitieren und ging schließlich mit 16 ans "Enana Dance Theater". Da bekam ich Ballett-Unterricht und begann im Grunde professionell zu tanzen. Vom ersten Moment an, als ich dort war, wusste ich, dass es das ist, was ich wollte.
Wie haben Ihre Familie und Freunde darauf reagiert, als Sie beschlossen haben: "Ich werde Tänzer"?
Meine Mutter hat mich sehr unterstützt. Aber ein Mann, der tanzt - das ist in meiner Kultur inakzeptabel. Auch in der Umgebung, in der ich war, dem Flüchtlingscamp, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, war das schwierig. Aber ich habe einfach auf niemanden gehört. Ich habe gemacht, was ich wollte, vom ersten Tag an, als ich anfing zu tanzen. Das war ein absolutes Geheimnis: Niemand wusste, dass ich in einer Kompanie war.
Als es dann gut lief und meine Auftritte auch im Fernsehen zu sehen waren, haben mein Vater und mein Umfeld erfahren, dass ich ein Tänzer bin. Manche Freunde haben sich daraufhin von mir abgewendet. Mein Vater war gegen mich. Er konnte es nicht akzeptieren, dass sein Sohn ein Tänzer war und versuchte vehement in vielerlei Hinsicht mich davon abzuhalten. Ich hatte also einige Steine im Weg.
Aber er hat es nicht geschafft! Wie sieht er das Ganze heute?
Wir hatten eine sehr verkorkste Beziehung. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, haben wir gestritten. Eigentlich hatte ich elf Jahre lang keine Verbindung zu meinem Vater, weil ich mich nicht streiten wollte. Das änderte sich, als ich nach Europa kam und als Tänzer Erfolg hatte. Jetzt unterstützt er mich sehr, denn auch er ist Künstler, lebt schon eine ganze Weile in Berlin, und ich denke, da hat er verstanden, dass es etwas wirklich Gutes für einen Mann ist, Balletttänzer zu sein. Ich war viele Male in Berlin, um ihn zu besuchen, und er kam nach Amsterdam, um mich tanzen zu sehen. Wir haben mittlerweile eine sehr gute freundschaftliche Beziehung.
Und haben Sie ebenfalls vor, nach Berlin zu ziehen, oder wollen Sie in Amsterdam bleiben?
Ich weiß es nicht. Ich habe keine Verbindung zu einem bestimmten Zuhause. Ich bin Tänzer und Tanz ist mein Pass. Einen offiziellen besitze ich nicht. Ich bin staatenloser Flüchtling [Anm. d. Red.: Diesen Status hat der Tänzer seit seiner Geburt, da sein Vater Sohn eines palästinensischen Flüchtlings ist. Joudehs Mutter stammt aus Palmyra, Syrien.] Nach Hause zurück kann ich nicht gehen. In Syrien gibt es keinen Ort, an dem ich mir ein Leben aufbauen könnte. Ich bin noch dabei herauszufinden, wohin es für mich geht, wenn meine Arbeit in Norwegen getan ist.
Apropos Zuhause, oder besser gesagt, "verlorenes Zuhause": Auf Ihrer Homepage gibt es Fotos, die zeigen, wie Sie vor einigen Jahren über den Dächern von Damaskus und im römischen Amphitheater von Palmyra tanzen, das 2016 beschädigt wurde. Was denken und fühlen Sie, wenn Sie diese Bilder heute sehen?
Ich empfinde es als großes Geschenk und bin sehr stolz darauf, die Gelegenheit gehabt zu haben, dort zu tanzen - bei all der Gefahr, die dabei bestand. Es war meine Art zu kämpfen, um die Kultur und Kunst am Leben zu erhalten. Ich glaube, ein Künstler hat die gleiche Verantwortung wie ein Soldat, wenn es darum geht, das Land zu retten - wir beide kämpfen für das Land. Der Künstler kann für die Kunst, Kultur und das Erbe kämpfen, die wir in unserem Land haben. Es war also meine Pflicht, dorthin zu gehen. Ich bin wahrscheinlich der letzte Künstler gewesen, der dort tanzen konnte. Danach wurde das Theater schwer beschädigt.
Aber ich glaube daran, dass ich eines Tages nach Palmyra zurückkehre und meine eigene Show auf die Beine stelle und die Stadt mit meiner Kunst wieder zum Leben erwecke. Ich habe ein großartiges Gefühl wenn ich mir die Fotos von damals ansehe. Sie geben mir für die Zukunft die Hoffnung, dass ich eines Tages mit meiner Kompanie, die ich das Syrische Nationalballett nennen würde, am selben Ort stehen werde. Das ist mein größter Traum und ich arbeite jeden Tag dafür: Ich sammle Erfahrungen, trainiere und kümmere mich um mein künstlerisches Leben und meinen Beruf, um dafür gewappnet zu sein, nach Syrien zurückzukehren und das wieder aufzubauen, was wir verloren haben.
Das Gespräch führte Sven Töniges.