Tajani: Die Mittelmeer-Route schließen
25. Juni 2018Als Vorbild könne die Vereinbarung der Europäischen Union mit der Türkei dienen: So wie man die Balkan-Route dicht gemacht habe, müsse nun die Mittelmeer-Route für Flüchtlinge geschlossen werden, verlangte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. Und dafür müsse die EU "mindestens sechs Milliarden Euro investieren", schrieb Tajani in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Die Welt". Die Europäer sollten dabei mit Transitländern wie Marokko, Tunesien und Algerien enger zusammenarbeiten, empfahl er.
"Dublin-Regeln" überholt?
Zugleich kritisierte der italienische Politiker die ungerechte Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU: "Von den 650.000 Asylanträgen in 2017 wurden 416.000 in nur drei Ländern gestellt: Deutschland, Frankreich und Italien." Diese "offenkundige Ungerechtigkeit" hänge mit der Dublin-Verordnung zusammen, an der sich immer häufiger "Streitigkeiten und Spannungen zwischen unseren Mitgliedstaaten entzünden".
Ungeachtet des massiven Widerstands aus Österreich, den Visegrad-Staaten und anderer Mitgliedsländer, die eine Aufnahme nach Quoten vehement ablehnen, hält Tajani an der Forderung fest, die Verteilung von Flüchtlingen gerechter zu gestalten. "Wir benötigen ein automatisches und verpflichtendes Verfahren, nach dem die Asylbewerber auf die Mitgliedstaaten verteilt werden", so der Parlamentspräsident.
Und er stimmt ein in die sich mehrenden mahnenden Verlautbarungen: "Wenn die Mitgliedstaaten keinen gemeinsamen Weg finden, die Ströme von Einwanderern und Asylbewerbern einzudämmen und zu regulieren, droht dem gesamten Projekt der Europäischen Union der Todesstoß versetzt zu werden", schrieb Tajani weiter. Die EU-Bürger seien nicht länger bereit, ein wehrloses Europa zu akzeptieren.
Libyen als Partner?
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger schlug ähnliche Töne an wie Tajani. Mit Blick auf Libyen gab er aber zu bedenken, dass man dazu in Nordafrika verlässliche Partner brauche, die eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge garantieren könnten. Man sei zu großen Investitionen für eine Unterbringung in einem "abgeschlossenen Dorf" mit guten Bedingungen bereit, so Oettinger. Die Kommission würde nach seinen Worten in den Etats für 2018 und 2019 "durch Umschichtungen freimachen, was geht".
Am Sonntag hatten die Staats- und Regierungschefs von 16 EU-Ländern in Brüssel vor allem über die Sicherung der Außengrenzen gesprochen. Wiederholt ging es um einen umfassenden Ausbau der Frontex-Mission vor der Küste Libyens.
Chancen für eine erweiterte Kooperation sondierte Italiens Innenminister Matteo Salvini direkt mit der Führung in Tripolis. Italien wolle Libyen technische und wirtschaftliche Unterstützung leisten, um "gemeinsam die Sicherheit im Mittelmeer zu gewährleisten", versprach Salvini nach einem Treffen mit seinem libyschen Kollegen Abdulsalam Ashour.
Aufnahmelager abgelehnt
Salvinis Vorschlag für Aufnahmelager an der Südgrenze Libyens wurde dort kategorisch abgelehnt. Solche Lager verstießen gegen die Gesetze des Landes, sagte der Vize-Chef des libyschen Präsidentschaftsrates, Ahmed Maitik, nach dem Treffen mit dem italienischen Innenminister. Man sei aber bereit, mit der Europäischen Union in der Frage der illegalen Migration zusammenzuarbeiten.
Hoffnungen auf Geld aus Europa
Der italienischen Zeitung "La Repubblica" hatte Maitik gesagt, man wolle vor allem im Kampf gegen Schleuser mit Italien kooperieren. Es handele sich um "gefährliche kriminelle Banden", die eine Normalisierung der Lage erschwerten. Maitik appellierte an die Europäer, "strukturelle Maßnahmen in den afrikanischen Ländern zu ergreifen, um die Migranten zu stoppen".
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte am Freitag mit Fayez al-Sarraj als dem Chef der von der UN unterstützten Regierung telefonisch über eine engere Kooperation gesprochen. EU-Parlamentspräsident Tajani plant in Kürze eine Reise nach Libyen und Niger.
Die libysche Marine hat am Sonntag nach eigenen Angaben insgesamt fast tausend Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. Am späten Abend war noch ein Marineschiff mit 490 Menschen an Bord im Hafen der Hauptstadt eingelaufen, wie der Offizier Rami Ghommeidh berichtete. Seit Mittwoch waren fast 2000 Flüchtlinge aufgegriffen worden. Hilfsorganisationen fürchten um das Schicksal dieser Migranten, da ihnen in dem nordafrikanischen Land oft ein Vegetieren in Lagern und eine menschenunwürdige Behandlung drohe.
SC/rb (afp, epd, dpa, KNA)