Neonazi-Mordserie
18. November 2011Wie ernst die Lage ist und wie ernst sie von der Bundesregierung unter dem Eindruck der Neonazi-Morde genommen wird, zeigt ein Blick auf die Teilnehmerliste des Sondergipfels, zu dem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Freitag (18.11.2011) nach Berlin geladen hatten: Anwesend waren die Fachminister der beiden Ressorts aus allen 16 Bundesländern und zahlreiche Sicherheitsexperten, darunter die Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundeskriminalamtes (BKA), Heinz Fromm und Jörg Ziercke.
Auch der neue Generalbundesanwalt Harald Range nahm an dem mehrstündigen Treffen teil und überraschte die Runde mit der Information, zwei weitere Verdächtige seien im Visier der Ermittler. Nähere Angaben wollte Range allerdings nicht machen. Dazu passte, dass Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sagte, es gebe "noch kein umfassendes Lagebild" von der Mordserie, der nach aktuellem Erkenntnisstand mindestens zehn Menschen zum Opfer gefallen sind.
Verfassungsschutz und BKA sollen enger kooperieren
Alle Beteiligten räumten Fehler und Pannen ein, die auf strukturelle Defizite im Bereich der Sicherheitsbehörden zurückzuführen seien. Als erste Lehre aus dieser Einsicht soll auf Bundesebene schnellstmöglich ein Abwehrzentrum gegen Rechtsterrorismus geschaffen werden, in dem der Verfassungsschutz und das BKA enger kooperieren können. Mit den Ländern und dem Generalbundesanwalt soll über eine Beteiligung gesprochen werden. Vorbild ist das 2004 in Berlin eingerichtete Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ), das ausschließlich für den islamistischen Terror zuständig ist.
Als weitere Maßnahme ist eine sogenannte Verbunddatei vorgesehen, in der Informationen über Rechtsextremisten zentral gebündelt werden sollen. Innenminister Friedrich bedauerte, dass ein solches Instrument in der Vergangenheit noch nicht zur Verfügung gestanden hat. Und um den Informationsaustausch zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesverfassungsschutzämtern zu verbessern, soll das entsprechende Gesetz geändert werden. Bislang ist es praktisch unmöglich, automatisch auf Erkenntnisse anderer Behörden zuzugreifen.
Innenminister will an V-Leuten festhalten
Thema des Rechtsextremismus-Gipfels war auch die vielfach erhobene Forderung nach einem zweiten Verbotsverfahren gegen die ausländerfeindliche Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Ein erster Versuch war 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, weil die 1964 gegründete Partei von Spitzeln des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Auf solche sogenannten V-Leute will Innenminister Friedrich auch künftig nicht verzichten. Nur so sei es möglich gewesen, seit 1998 zehn rechtsextremistische Organisationen zu verbieten, begründete der christlich-konservative Minister seine Position.
Auch BKA-Präsident Jörg Ziercke hält den Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremistischen Szene für unverzichtbar. Dass die Sicherheitsbehörden angesichts so vieler ermordeter Menschen mit Migrationshintergrund ein fremdenfeindliches Motiv unterschätzt haben könnten, schloss Ziercke aus. Es habe an Hinweisen gefehlt, "weil die Gruppe total abgetaucht und abgedeckt war durch ein Umfeld, wie wir es noch nie gehabt haben in Deutschland", sagte Ziercke.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning