"The American Dream": Eine Bestandsaufnahme
18. November 2017Emden Hauptbahnhof. Endstation. Ein paar einsame Gleise, zögerlich zieht sich der aussteigende ältere Herr die Kapuze über den Kopf. Es nieselt auf die kleinen roten Backsteinhäuser, die den Bahnhof umgeben. Weiter vom geschäftig-glamourösen Treiben in New Yorks Central Station kann man kaum entfernt sein. Und doch genau dahin will der grell-leuchtende Pfeil über dem Eingang der Emder Kunsthalle einladen, rein in den "Amerikanischen Traum" - wie der Titel es verspricht - zu Cowboys, auf die Route 66, den Yosemite National Park. Insgesamt rund 200 Werke des amerikanischen Realismus von Edward Hopper über Andy Warhol bis Peter Saul haben die Kunsthalle Emden und das Drents Museum in Assen zusammengestellt.
In Amerika ein Underdog
Um Werke zu sichten und Kontakte zu knüpfen fuhr das Kuratoren-Team nach New York. "Im MoMa (Museum of Modern Art) fanden wir die Werke des Realismus auf dem Gang zu den Toiletten", erzählt Annemiek Rens, Kuratorin in Assen. "Da waren wir dann doch ein bisschen überrascht". Die figürliche Malerei hatte lange einen ideologischen Nachgeschmack. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie von der abstrakten Kunst abgelöst, die stand für Neuanfang und Innovation. Nicht zuletzt da sie sich vom sowjetischen Realismus klar abgrenzte, wurde die expressionistische Kunst a la Jackson Pollock & Co sogar aktiv von der CIA gefördert. Die realistische Malerei wurde - abgesehen von der Pop Art - zum Underdog in Amerika. Peter Trippi, Kunstkenner aus New York, erklärt: "Die realistische Malerei ist ein bisschen kitschig, ein bisschen sentimental, ein bisschen altmodisch – und von diesem Image möchte sich die amerikanische Museumswelt so weit wie möglich fernhalten."
Zwei kleine Städte, ein großer Traum
Das amerikanische Desinteresse erklärt, warum es nun ausgerechnet ein Museum einer kleinen niederländischen Stadt und eine Kunsthalle einer kleinen ostfriesischen Stadt sind, die erstmal die Kontinuität der Werke des amerikanischen Realismus zwischen 1945 und 2017 aufzeigen. Ein anderer Grund: Die Vorbildfunktion Amerikas bröckelt. Immer weiter scheint sich Trumps "America First" Politik weg vom Ideal der Freiheit und Offenheit zu bewegen. Kaum ein anderes Thema beschäftigt die deutsche und europäische Debatte so sehr wie dieses sich verändernde transatlantische Verhältnis.
Und mitten drin: Der "amerikanische Traum", die Idee, "dass man anders als in Europa aus dem Nichts heraus etwas schaffen kann" so die Emder Kuratorin Katharina Henke. Eine Idee, die tausendfach reproduziert wurde in Film, Musik und Kultur. Das ist das Überthema, unter dem die Ausstellung Emder Kunsthalle, die sich der Zeit zwischen 1965 und 2017 widmet, die rund 140 Werke zeigt.
"Toxische Männlichkeit" heißt das Problem
Eine kleine glückliche Nuklearfamilie, typische Rollenverteilung: Amerikanische Familienidylle aus dem Katalog. Und außen rum: Zerstörte Fenster, Schutt, Asche, Krieg. Zwei Gegensätze, die weit entfernt scheinen und doch miteinander verbunden sind. Die Collage ist Teil der Serie "Bringing the War Home" von der Künstlerin Martha Rosler aus den 1970er Jahren, in der sie die amerikanische Doppelmoral während des Vietnamkriegs offen kritisiert. "Es gibt kein 'wir hier' und 'die dort': Das eine ist mit dem anderen unwiderruflich verbunden. Wir sind eine Welt", beschreibt die Künstlerin die Kern-Aussage ihrer Collagen-Serie. Diese Aussage scheint aktueller denn je. "Donald Trump will den amerikanischen Traum mit militärischer Dominanz und Waffengewalt 'wiederherstellen'. Das nenne ich toxische Männlichkeit. Und gegen die wird sich gerade aufgelehnt", so Rosler. Dieser Widerstand sei dabei nicht ausschließlich gegen den US-Präsidenten gerichtet, auch Hollywood-Starproduzent Harvey Weinstein, der jahrelang Frauen sexuell belästigt und sogar vergewaltigt haben soll, verkörpere diese "toxische Männlichkeit". Künstler stünden in der Verantwortung, diese Widersprüche aufzuzeigen, zum Nachdenken anzuregen, so Rosler.
"Kunst öffnet eine Tür in die Vergangenheit"
"I have a dream". Am 28. August 1963 hält Martin Luther King seine berühmte Rede vor rund 250.000 Menschen, die zum "March on Washington for Jobs and Freedom" gekommen sind. Das Foto von Gordon Parks (s.o.) ist Teil einer Reihe, in der der Künstler Eindrücke der Bürgerrechtsbewegung darstellt, die die Grundfesten der USA in den 1960ern erschütterte. 1964 wurde im Civil Rights Act die Rassentrennung - zumindest auf dem Papier - abgeschafft. Und doch funktioniert auch 2017 der Mythos vom amerikanischen Traum vor allem für den weißen, heterosexuellen Mann. Die Gruppe "Black Lives Matter" prangert das seit ein paar Jahren an. Laut Peter Trippi soll Kunst genau diese Brücke schlagen: "Die Kunst öffnet eine Tür in die Vergangenheit".
Träumt weiter!
Ein Zeitungsausschnitt "I have a dream", unter Straßenmüll begraben. Die Collage von Idelle Weber rundet die Ausstellung ab und soll ganz klar ein Statement setzen. Für die Künstlerin Martha Rosler ist die eigentliche Idee des Amerikanischen Traums in der aktuellen Debatte unter Trump verloren gegangen. Sie betont jedoch zugleich: "Wenn wir darunter die Gleichheit aller Menschen verstehen, eine fairen Zugang zu Ressourcen und die Chance auf Weiterentwicklung, dann ist das ein soziales Ideal, das Menschen vereinen kann, das sie anstreben können."
Vom Underdog zur Doppelausstellung: Die wieder aufkommende Aufmerksamkeit, die den Werken des amerikanischen Realismus zuteil wird, erinnert fast an eine Geschichte frei nach dem Mythos des Amerikanischen Traums. Hoffentlich wird er, wie Rosler es vorschlägt, auch in den USA selbst weiter geträumt.
Die Ausstellung "The American Dream" ist vom 19. November 2017 bis zum 27. Mai 2018 in der Kunsthalle Emden und dem Drents Museum in Assen zu sehen.